Die USA befinden sich nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in bürgerkriegsähnlichem Zustand. Spätestens jetzt wird klar, dass Veränderung längst überfällig ist: Nicht nur bei jedem und jeder Einzelnen, sondern vor allem im amerikanischen Staats- und Wirtschaftssystem.
Über 40 Millionen Menschen haben wegen der Corona-Krise in den USA ihre Jobs verloren. George Floyd, der von einem Polizisten getötet wurde, weil er mit einem vermeintlich gefälschten Geldschein Zigaretten kaufen wollte, war einer von ihnen. Besonders Minderheiten trifft die Krise laut Analysten der Cornell-Universität unverhältnismäßig stark: 14,7 % aller US-AmerikanerInnen waren im April arbeitslos gemeldet. Innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung betrug die Arbeitslosenrate jedoch 17 %. In den noch unveröffentlichten Mai-Daten soll sich dieser Unterschied sogar noch stärker zeigen. Die Todesrate durch Covid-19 ist laut NEWS fast drei Mal so hoch wie bei weißen AmerikanerInnen, in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington fast sechs Mal so hoch.
Eine mögliche Erklärung hierfür ist das US-amerikanische Gesundheitssystem, das oftmals mit einem exklusiven Zugang verknüpft ist; die hohen Behandlungskosten, die sich viele nicht leisten können und die geringe bis gar nicht vorhandene staatliche Absicherung und Unterstützung.
„Egal, welche Kriterien man heranzieht, immer schneiden sie (AfroamerikanerInnen, Anm.) schlechter ab“, schreiben Martin Staudinger und Robert Treichler in der aktuellen Profil-Titelgeschichte.
Der amerikanische Albtraum
Rassismus manifestiert sich auf verschiedene Arten und Weisen. Wenn Privilegien nicht jedem zustehen, sondern nur jenen, die in der Lebenslotterie Glück hatten; jenen, deren Hautfarbe, Herkunft und Name untrennbar mit diesen Privilegien verknüpft sind – dann haben wir ein Problem mit dem Namen Rassismus.
In der US-amerikanischen Gesellschaft mit ihrem sogenannten amerikanischen Traum ist dieses Problem tief verankert und für viele Menschen zu einem Albtraum ausgeartet. George Floyd gehörte zu jenen, für die der Albtraum Realität wurde. Sein Mord, die darauf folgenden Proteste und die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf den Straßen der USA zeigen auf, was sich bisher nur in den Köpfen vieler formulierte: Dass Veränderung nicht bloß gewünscht wird, sondern längst dringend notwendig ist, und dass Ungerechtigkeit nur erfolgreich bekämpft werden kann, wenn sie nicht mehr systemimmanent ist.
Dafür müssen sich viele Strukturen ändern. Niemandem soll das Gefühl gegeben werden, wegen seiner Hautfarbe nicht geschützt zu sein und Selbstjustiz ausüben zu müssen. Niemand soll das Gefühl haben, in der Polizei nicht Freund oder Helfer, sondern eine akute Bedrohung wiederzufinden. Niemand soll in die Situation gebracht werden, wegen finanzieller Schwierigkeiten keine ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen zu können.
Das Wirtschaftssystem in den USA ist stark neoliberal ausgerichtet, Interventionen des Staates werden als Einschnitt in die Freiheit und den natürlichen Fluss des Marktes störend betrachtet. Die Idee des Sozialstaates, die wir in Europa und Österreich tagtäglich leben, wird vor allem bei den Republikanern als “kommunistisch” verschrien.
Veränderung ist nötig – aber wie?
Ein erster und wichtiger Schritt wäre die Erkenntnis, dass Donald Trump nicht, wie von ihm selbst immer und immer wieder propagiert, der Verbündete der sozial Benachteiligten ist. Denn ein Verbündeter der sozial Benachteiligten würde alles daran setzen, deren Rahmenbedingungen in jedem Lebensbereich zu verbessern, und nicht bloß eine polemische Parole nach der anderen via Twitter abfeuern und die Lösung des Problems in der Einschaltung des Militärs gegen die eigenen Bürger und Bürgerinnen sehen.
Die Abwahl von Trump und die Wahl von Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl im Herbst wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, ein weiterer muss aber ein Ausbau jener sozialer Leistungen sein, die gesellschaftliche Ungerechtigkeiten ausgleichen und Leben retten können.
Die weit verbreitete und aus der langen Feindschaft mit der Sowjetunion hervorgegangene Ansicht, dass es nur auf der einen Seite Kapitalismus, auf der anderen Seite Kommunismus und dazwischen nichts geben kann, muss revidiert werden. Das dürfte schwieriger werden als gedacht, denn kaum ein/e PräsidentIn wird sich damit beliebt machen, neue Steuern einzuführen. Irgendwann wird aber kein Weg mehr daran vorbei führen. Zumindest, wenn die USA eine gerechtere, inklusivere und solidarischere Gesellschaft anstreben. Denn von dieser sind sie im Jahr 2020 noch weit entfernt.