„...dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

Kultur & Events
Fabienne Gruber / 07.06.2018
Mahnmal Bücherverbrennung Salzburg

1938: Hitze. Flammen. Schreie. Die Hitze vor mir lässt mich regelrecht gefrieren. Sie drängt mich einen Schritt nach hinten. Links von mir stehen die Jungen, sie tragen eine Mischung aus Tracht und Uniform; rechts von mir ein paar StudentInnen. Sie alle haben sich hier versammelt, wurden aufgestellt wie Marionetten und müssen an dem Spektakel teilnehmen.

Die heiße Luft schnürt mir den Hals zu. Ich versuche ruhig zu bleiben, doch das Gefühl als würden die Flammen versuchen mich zu fangen, wird immer stärker. Und doch bin es nicht ich, die von dem Feuer gefressen wird. Ich blicke um mich, auf der Suche nach einem Ausweg, ich stolpere nach hinten. Mein rechter Fuß stößt an etwas Hartes. Ich blicke nach unten und erstarre. Plötzlich ist das Treiben rund um mich gedämpft, ich nehme die wütenden Schreie, das Stampfen der Stiefel nicht mehr wahr. Langsam bücke ich mich und hebe das teils verkohlte Leder auf. Ich drehe es in meiner Hand, so, damit ich den Einband genauer erkennen kann.

Schwarz. Verbrannt. Und doch ...lebendig.

Ich stehe am Residenzplatz. Die Sonne brennt vom Himmel, rund um mich das Treiben einer Stadt. Hinter mir sehe ich den Residenzbrunnen, wie er graziös und mächtig vor den TouristInnen mit ihren Kameras posiert. Gegenüber Geschäftsmänner und -frauen, die ihren Feierabend mit einem Eis auf einer Bank beginnen wollen. Und vor mir ein quadratischer Stein, bedeckt mit einem weißen Tuch. Kaum einen halben Meter hoch, es sieht fast aus wie eine Sitzgelegenheit. So eine, wie sie die Geschäftsmänner und -frauen dort drüben benutzen, um die Menschen auf dem Platz zu beobachten. Um die späte Nachmittagssonne zu genießen oder einfach nur, um auf jemanden zu warten.

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Und doch weiß ich es besser. Denn vor genau 80 Jahren, am Vorabend des 30.Aprils 1938, wurde hier ein Verbrechen begangen. Und dies ist das Mahnmal, das daran erinnern soll.

Im Jahre 1938, kurz nach dem Anschluss an Nazi-Deutschland wurde am Salzburger Residenzplatz eine Bücherverbrennung veranstaltet. Die größte öffentliche Bücherverbrennung, die es in Österreich je gegeben hat. Rund 15.000 Menschen kamen, um dem Spektakel beizuwohnen.

Rund 1.200 Bücher von und über Juden, Bücher des Ständestaates, der Legitimisten der Habsburger und der Freidenker wurden an diesem Tag hier verbrannt.

Unter der Devise „Alles Undeutsche wird bekämpft – auch Kunst und Kultur!“ wurden Werke von Heinrich und Thomas Mann, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Karl Marx oder Stefan Zweig in die Flammen geworfen.

Als Vorbild dafür dienten die bereits 1933 getätigten Bücherverbrennungen in Deutschland, bei denen pazifistische, sozialistische, marxistische, jüdische, demokratische und kommunistische Bücher ins Feuer geworfen wurden. Diese Bücher stammten aus Universitäts- und Leihbibliotheken sowie aus Buchhandlungen.

„Ins Feuer werfe ich das Buch des Juden Stefan Zweig, dass es die Flammen fresse, wie alles jüdische Geschreibe! Frei erhebt sich geläutert der deutsche Geist!“

Männer des NS-Regimes, die Buben der Hitler-Jugend, StudentInnen – sie alle kamen, um die geistige Freiheit am Scheiterhaufen verbrennen zu sehen. Sie triumphierten über und bekämpften eine geistige Macht, die sich ihnen in den Weg gestellt hatte, es jedoch nicht mit dem braunen Regime aufnehmen konnte. Denn niemand konnte es, ihrer Meinung nach, mit ihnen aufnehmen.

Der Gedanke „Was wäre, wenn die Nazis alle jüdischen und christlichen Bücher komplett ausgelöscht und den Krieg gewonnen hätten?“ ist kaum denkbar und doch so absurd, dass sich ein jeder diese Frage stellen sollte.

Und genau aus diesem Grund werden Denkmäler errichtet. Um die Menschen daran zu erinnern, was war und was nie wieder sein darf. Um Menschen zum Schweigen, zur Scham, zur Betroffenheit und zur Demut zu bringen. Ein Denkmal darf nicht laut, groß und monumental sein; es muss leise, friedlich, fast schon unsichtbar sein.

Wie Robert Musil vor rund 100 Jahren sagte: Das Auffallendste an Denkmälern ist, dass man sie nicht bemerkt.

Jede Gesellschaft will an etwas erinnert werden, jedoch eher an etwas, bei dem sie Opfer und nicht Täter waren. Laut deren Meinung dürfen Denkmäler dem Kommerz nicht im Wege stehen, sondern sollen am Rande aufgestellt werden, damit sich niemand daran stößt.

Genau so ist es auch bei dem Denkmal, das genau 80 Jahre nach dem Vorfall hier in Salzburg öffentlich gemacht wird.

Das Denkmal soll nicht im Vordergrund stehen, es soll nur sichtbar sein für all jene, die es sehen wollen. Von Weitem sieht es aus wie eine Sitzgelegenheit, die man benutzen kann, um das Treiben am Residenzplatz beobachten zu können. Erst bei näherem Betrachten fällt auf, dass es keine einfache Steinmauer ist.

Um nicht dem Christkindlmarkt und dem Rupertikirchtag im Weg zu stehen, wurde es am Rande platziert.

Orientiert am Bücherverbrennungs-Mahnmal in Berlin kreierten Florian Ziller und Fateme Naderi ein Kunstwerk, das sich einen Meter tief in der Erde befindet. Ein körperloses Buch – das „Buchskelett“, das keinen Autor kennt, keinen Einband und keine Seiten hat. Zum einen ist es präsent, zum anderen disfunktional.

Das Denkmal soll ein Anstoß für all jene sein, die sich denken, dass all das alter Kram ist; dass all das nichts mehr mit heute zu tun hat. Es soll Menschen stören, dann hat es seinen Zweck erfüllt.

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Die Mahnmalsetzung am Residenzplatz am 30.April dieses Jahres soll uns daran erinnern, dass wir uns glücklich schätzen dürfen. Glücklich einerseits, weil wir eine eigene Meinung haben dürfen und diese auch laut aussprechen können. Anderseits, weil wir Bücher in den Händen halten dürfen, die wertvoller sind, denn je. Zumindest für mich.

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Wir dürfen Wörter, Sätze, Reden lesen von Menschen, die uns dazu ermutigen, eigene Gedanken zu haben. Die uns ermutigen, FreidenkerInnen zu werden.

Früher war es verboten zu denken.

Ich denke, es ist verboten, es nicht zu tun.

 

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 15.04.2024 bearbeitet.

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