Ein kleiner Anfang: Jugend gegen Gewalt an Frauen

Leben
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Wie die meisten guten Erzählungen beginnt auch diese hier sehr klein und nur mit einer Hand voll Leuten, die es sich zum Ziel gemacht haben, die Jugend gegen Gewalt an Frauen zu sensibilisieren. Diese Leute haben das Glück, dass sie durch ihren Job bei der Caritas in ihrem Vorhaben unterstützt werden.

Also machten sie sich auf die Suche nach Jugendlichen mit dem Willen etwas zu bewegen. Und auch wenn die Zahl dieser noch sehr gering ist, kann die daraus entstandene Gruppe von Menschen eine Veränderung im Denken der Gesellschaft bewirken. Daran glaube ich.

Ein paar Monate und zahlreiche Workshops später sind wir jetzt fertig mit dem ersten Abschnitt dieses Pilotprojekts und voller Eifer, unsere eigenen Projektideen mit dem Motto „Mach dich STARK gegen Gewalt an Frauen“ umzusetzen. Aber dazu später mehr.

Begonnen hat alles in einem kleinen Seminarraum im Gebäude der Caritas in Wiener Neustadt. Hier trafen wir uns zum Diskutieren, voneinander lernen, Tüfteln an neuen Ideen und um als Gruppe zusammen zu wachsen. Und weil wir so vieles besprochen haben, dass ich es gar nicht alles aufschreiben kann, bekommt ihr einen Einblick in das Wichtigste.

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„Wer bin ich?“

Um zu verstehen warum sich ein Mensch verhält wie er sich verhält und warum Menschen gewalttätig werden, ist es wichtig sich mit deren Identität zu beschäftigen. Die Fragen „Wer bin ich?“, „Wohin gehöre ich?“ und „Worüber definiere ich mich?“ beschäftigen jeden und jede ein ganzes Leben lang.

Eine Identität wird geprägt von der Umwelt, in der sie wächst. Soziale Bestätigung – also Anerkennung – zum Beispiel formt eine Person genauso wie Ablehnung. Und als soziale Wesen brauchen wir diese Ecken und Kanten, an denen wir uns schleifen und reiben bis wir unser Selbst geformt haben.

Aus diesem Grund lebt der Mensch in Gesellschaft, denn Gesellschaft stellt uns jeden Tag aufs Neue vor Herausforderungen. Immer wieder lässt sich der interne Konflikt zwischen der Gemeinschaft – also einem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe – und der Individualität beobachten. Eine wichtige Lektion für uns alle ist es in dem Zusammenhang Unterschiede auf keinen Fall als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu sehen. Gerade der Raum für das „Anders-Sein“ ist unglaublich wichtig, um sich selbst kennen zu lernen und die eigenen Bedürfnisse nicht einem größeren unterzuordnen.

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All diese schlauen Begriffe und Ansätze für eine funktionierende Gesellschaft sind eigentlich mit einem einzigen Begriff zusammengefasst: Selbstreflexion.

Je besser ich mich selbst kenne und auf meine Bedürfnisse Rücksicht nehme, desto besser funktioniere ich in einer Gesellschaft und im Umgang mit anderen Menschen. Dadurch kann ich mich auch leichter mit anderen Kulturen und somit auch anderen Werten, Normen und Verhaltensweisen auseinandersetzen und diese sowohl akzeptieren als auch respektieren.

Wenn man diesen Mechanismus verstanden hat, sind auch Dinge wie Vorurteile und Geschlechterrollen überflüssig.

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ – Simone de Beauvoir, 1949

Ein weiterer wichtiger Teil in dem Leben eines Menschen ist seine Erziehung. Eltern haben unglaublich viel Macht, ihr Kind zu formen und dies geschieht meist nach Normen und Regeln der Kultur, in der die Familie lebt 2. Kinder sind natürlicherweise neugierig und unbefangen neuen Erfahrungen gegenüber. Vorurteile sind nicht angeboren, genauso wenig wie Gender (soziales Geschlecht). Die Gesellschaft schreibt vor welche Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Interessen mit welchem Geschlecht in Verbindung gebracht werden und danach hat man sich zu richten,

wenn man jenem Geschlecht zugehörig wahrgenommen werden möchte. Dieses soziale Geschlecht hat übrigens nichts mit dem biologischen Geschlecht (Sex) zu tun, welches sich auf die körperlichen Merkmale beschränkt.

Dem entsprechen zu müssen, was als typisch „männlich“ und typisch „weiblich“ gilt, ist ein enormer Druck – und zwar genauso für Männer wie für Frauen. Das wird oft nicht berücksichtigt. Die übliche Sichtweise auf Geschlechterrollen sieht zumeist nur den Sexismus der Frau gegenüber und das Unrecht, welches dieser in der Vergangenheit ausgelöst hat. Ein klassisches Beispiel dafür wäre die Ansichtsweise, Frauen wären für Kindererziehung und Pflegen des Haushaltes zuständig. Wir bei „Mach dich STARK“ haben uns diese Klischees von einer anderen Perspektive angeschaut. Was passiert eigentlich mit dem Mann in diesem Szenario und was macht die Erwartung der Gesellschaft, sich „männlich“ verhalten zu müssen mit ihm? All dieser Druck beginnt schon im Kindesalter, wenn einem Jungen beispielsweise gesagt wird, er dürfe nicht weinen. Er sei schließlich ein Mann und müsse stark sein. Von diesem Moment an bekommt ein Junge fortlaufend diese vorgegebenen Verhaltensmuster eines „echten Mannes“ eingetrichtert und viele leiden enorm unter dieser Rolle. Im Zusammenhang mit Gewalt passiert nun folgendes: Der Mann soll dominant sein. Er soll seine Frau beschützen und soll sowohl physisch als auch psychisch stark sein. Also schluckt er alle Emotion herunter. Es ist ja nicht erlaubt darüber zu sprechen, geschweige denn diese verletzliche und – am wichtigsten – menschliche Seite zu zeigen. Und irgendwann, wenn das Fass einfach voll ist, geht es über 3.

Auch in der Sexualität sind die Geschlechterrollen oft Auslöser für Konflikte und sogar Straftaten.

Vor allem die heutzutage leicht zugängliche Pornographie vermittelt ein falsches Bild davon, wie Sex funktioniert und macht der Jugend Druck, es müsse bei ihnen genauso aussehen wie bei den PornodarstellerInnen. In diesem Zusammenhang spielt auch Gewalt eine Rolle. Wo hören sexuelle Spielchen auf und wo beginnt die Gewalt?

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Aggressive Gewalt oder gewalttätige Aggression?

Eine weitere sehr wichtige Lektion, die wir im Zuge der Workshops gelernt haben, hat mit den Begriffen Gewalt und Aggression zu tun. Im normalen Sprachgebrauch werden die beiden oft als Synonym verwendet. In Wirklichkeit ist Gewalt allerdings eine grenzüberschreitende Tat – egal ob physisch oder psychisch. Im Gegensatz dazu bedeutet aggressives Verhalten eigentlich nur, dass man präsent ist und seinem Gegenüber Grenzen für ein gutes Zusammenleben aufzeigt. Aus diesem Grund ist Aggression der Eltern in der Kindererziehung unglaublich wichtig, damit Kinder eine Orientierungshilfe für ihr Verhalten und den Umgang mit Mitmenschen haben. Auf diese Weise lernen sie auch ihre eigenen Grenzen kennen und können diese von ihrem Gegenüber einfordern. Diese Art der konstruktiven Aggression dient als Schutzfunktion. Die Unfähigkeit aggressiv zu handeln ist meist gerade das Problem von GewalttäterInnen. Sie kennen weder ihre eigenen noch die Grenzen der anderen und überschreiten diese deshalb sehr einfach.

Ist eine Gewalttat begangen durchlebt der/die TäterIn oftmals einen Kreislauf, aus dem es ohne äußere Hilfe nur selten ein Entkommen gibt. Am besten setzt die Hilfe dann an, wenn noch Reue und Scham für die Tat herrscht. Kommt es einmal bis zur Ohnmacht wird geschwiegen darüber, was passiert ist, und spätestens bei dem Kontaktabbruch ist jede Emotionalität bei dem/der TäterIn verschwunden. Das Opfer wird depersonalisiert (entmenschlicht) und der Kreislauf schließt sich.

Besonders wichtig ist mir persönlich auch noch die Info am Rande: In den Medien wird immer der Mann als Täter und die Frau als Opfer dargestellt – vor allem wenn es um häusliche Gewalt 4 geht. Fakt ist allerdings, dass über 50% der Gewalt an Kindern von Frauen ausgeübt wird. Uns bei „Mach dich STARK“ ist es wichtig, auch dieses Klischee zu überdenken und niemanden aufgrund eines allgemeinen Irrglaubens zu verurteilen.

Ein weiterer Fakt ist allerdings auch, dass jede fünfte Frau in Österreich ab ihrem 15. Lebensjahr physische und/oder sexuelle Gewalt erlebt 5. Das erschreckendste an dieser Zahl ist, dass es mindestens genauso viele TäterInnen geben muss. Vermutlich sind das Leute mit denen wir täglich Kontakt pflegen und denen wir niemals eine solche Tat zutrauen würden. Darum ist es unglaublich wichtig diese Probleme anzusprechen und darauf aufmerksam zu machen. Verschließt nicht eure Augen vor Tatsachen nur, weil sie unangenehm sind. Macht euch STARK gegen Gewalt in all ihren schrecklichen Formen!

Wenn ihr Hilfe braucht oder euch informieren wollt, wie es gesetzlich ausschaut bei Gewalttaten, schaut euch die Links genauer an6.

Weiterführende Links:

 Insta-Account Mach dich STARK

2 Biber Artikel

Empfehlenswerter Film zu diesem Thema: „The Mask You Live In“ (2015)

Ausstellung zum Thema „häusliche Gewalt“/ „Gewalt in der Familie“ 

Statistiken der aoef zu Gewalt an Frauen und Mädchen in Österreich

Interventionsstelle gegen Gewalt

 Infobroschüre zu gesetzlichem Gewaltschutz

 

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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