Freiheit oder Unterdrückung?

Politik
Karim Azman / 09.05.2017
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Laut eigener Aussage muss sich so manche Muslima in Österreich 37-mal täglich die Frage gefallen lassen, sich 37-mal täglich dafür rechtfertigen, warum sie ein Kopftuch trage. Verständlich, dass die Kopftuchdebatte nervt, bereits zum Hals heraus hängt.

Die Fragenden möchten ein Mysterium nachvollziehen und ihr Interesse ist lobenswert, denn andere möchten gar nicht fremde Kulturen ergründen und den Ursachen alter Riten nachgehen, sondern frönen ignorant dem Stolz der Unwissenheit. Doch egal welche Antwort man erhält, es ist nur eine von vielen, von denen aber keine als stellvertretend angesehen werden sollte. Linke werden als Halbblinde gescholten, wenn sie nicht Kritik an diesem so aufgeladenen und polarisierenden Symbol für einerseits Freiheit und Glaube, andererseits Sitte und Unterdrückung üben. Denn es gibt durchaus Fälle von patriarchalisch geprägten Familien, deren Rückständigkeit sich äußert, in dem den Mädchen das Tragen des Kopftuches ab einem gewissen Alter auferlegt wird. Und ja, auch andere fest verankerte, archaische Wertevorstellungen werden in diesen und ebenso in nichtmuslimischen österreichischen Familien weitergegeben, doch kein Kleidungsstück ist scheinbar ein so entlarvendes Beweismittel für VerteidigerInnen der Frauenrechte, dass der Wille einer Frau unterdrückt wird.

 

Wie der islamische Theologe Mouhanad Khorchide im „Standard“ ausführte, stammt dieser Brauch aus dem 6. Jahrhundert. In diesem wurde der Koran geschrieben, in welchem der Prophet Mohammed Frauen warnt, ohne Schleier aus dem Haus zu gehen. Was vielen beim Lesen dieses Satzes nicht bewusst ist: Ein Erkennungsmerkmal der damaligen Sklavinnen war ihr unverhülltes Haupt. Somit machte dieser bedauernswerte Umstand das Kopftuch zu einer Unterscheidungshilfe. Durch diesen Satz, der falsch interpretiert wurde, als die Notwendigkeit und der Grund für diesen Rat nicht mehr gegeben waren, haben Muslima aus verschiedenen Gründen begonnen, ein Kopftuch zu tragen.

 

In Ländern, in denen der Islam die Kultur entscheidend geprägt hat wie hierzulande in ähnlicher Weise das Christentum, etablierte sich dieses „Accessoire“. Durch einen in den letzten Jahren gestiegenen Anteil an MuslimInnen in Österreich erlangt es heute als Streitpunkt in Zeiten von Symbolpolitik Popularität.

 

Derzeit sind einige über eine zugespitzte Aussage Alexander Van der Bellens erzürnt. Im Rahmen einer Diskussion mit SchülerInnen prognostizierte er, dass man irgendwann alle Frauen bitten müsse, aus Solidarität Kopftuch zu tragen, da die Islamophobie in Österreich zunehme. Nachvollziehbare Kritik daran kommt beispielsweise von Frauen, die aus Ländern geflüchtet sind, in denen das Nichttragen eines Kopftuches bestraft wird. Wenn man islamische Länder mit Österreich vergleicht, sollten jedoch die unterschiedlichen Ausgangspunkte beachtet werden. Im einen Land gelten unverhüllte Frauen als unrein, in einem anderen wird mit bösen Blicken über verhüllte Frauen die Stirn gerunzelt. Nun stehen Frauen wegen verschiedener Dinge im gesellschaftlichen Abseits, in Österreich wurde man zumindest bis vor kurzem nicht dafür bestraft, anders zu sein. Doch dass Frauen durch ein Verbot verweigert wird, Berufe wie Richterin oder Lehrerin auszuüben, zementiert den Stereotyp der ungebildeten Muslima.

 

Wenn Frauen auf unterschiedliche Art diskriminiert werden, muss unterschiedlich gegen die jeweilige Unterdrückung demonstriert werden. Alexander van der Bellens Vorschlag, als Frau aus Solidarität ein Kopftuch zu tragen, könnte genauso auf die Männer ausgeweitet werden. Natürlich denke ich dabei eher an Aktionen und Demonstrationen als an ein längerfristiges Tragen wie vermutlich auch Alexander van der Bellen meinte, der sich wohl ungenau ausgedrückt hat. Wie das umgesetzt werden könnte, kann man im Iran sehen. Dort sind Fotos von verhüllten Männern mit unverhüllten Frauen in sozialen Netzwerken eine gängige Form des Protests gegen die Kopftuchpflicht. Solidarität zu zeigen ist eine freiwillige Handlung und wenn der Großteil dazu nicht bereit ist, würde ein kleiner Teil der Bevölkerung trotzdem Außergewöhnliches bewirken können.

 

Es trägt nicht zur Integration oder Gemeinschaftsidentifikation bei, wird Assimilation gefordert, aber derart offene Diskriminierung propagiert. Eher steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Abschottung, wenn sich jetzige Kopftuchträgerinnen fremd fühlen müssen. Indem PolitikerInnen meinen, dass das Kreuz ein wichtiges kulturelles Symbol sei und nicht zur Diskussion stehe, sorgen sie zwar für Beifall von Leuten deren hervorstechendes Talent ist, Teil des Volks zu sein, erweisen aber dem Zusammenleben und der Integration einen Bärendienst.

 

Außenminister Sebastian Kurz der christlichen ÖVP hat dieses Verbot forciert. Auch Michael Prüller, Kolumnist der christlich-konservativen „Presse“, hat in mehreren lesenswerten Kommentaren auf die Diskrepanz hingewiesen, sich für christliche Werte einzusetzen und AnhängerInnen einer anderen Religion zu diskriminieren. Sollte der Staat nicht entweder konsequent laizistisch wie in Frankreich sein oder alle AnhängerInnen jeder Religion ihre Symbole tragen dürfen?

 

Ein Verbot ist ähnlich falsch wie eine Kopftuchpflicht. Ist es zielführend, anhand der Kleidung Schlüsse zu ziehen, wie frei und eigenständig eine Frau ist? Ist es rational, eine unbekannte Anzahl rückständiger MuslimInnen als Grund zu nennen, die Freiheit aller Frauen einzuschränken? Ist die Bedeutung, die einem Kleidungsstück zugeordnet wird, nicht stark vom Verhalten und der Sichtbarkeit innerhalb der Gesellschaft der Trägerinnen abhängig? Wozu wird ein Symbol der Unterdrückung, wenn es von selbstbewussten Frauen getragen wird?

 

Weiterführende Links

Van der Bellen sorgt mit Kopftuchsager für Aufregung (Standard)

Nein zur Spaltung der Muslime, Herr Mufti (Standard)

Warum iranische Männer jetzt plötzlich Kopftuch tragen (Die Welt)

Kopftuchjäger (Die Presse)

Kopftuchgate (Die Presse)

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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