Matthias. Down-Syndrom: was ist das überhaupt?

Leben
Clara Porak / 04.08.2016
Jugendliche verbäugen sich auf eine Bühne

Wir haben es alle irgendwann einmal in Bio gelernt oder zumindest das Wort gehört. Down-Syndrom. Es hat irgendwas mit Genen zu tun. Und Behinderung. Aber sonst? Was bedeutet leben mit Down-Syndrom? Wie kommt es überhaupt dazu, dass ein Kind mit dieser Behinderung auf die Welt kommt und ist es dann wirklich so anders?

Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick über die wichtigsten Aspekte eines Lebens mit Down-Syndrom und was du darüber wissen solltest, geben.

Trisomie-was?

Zunächst mal kurz zum Biologischen: Im Prinzip ist es ganz einfach: Die Chromosomen, die in jedem unserer Zellkerne sitzen, sind die Träger unserer Erbanlagen und bestehen aus DNA und Proteinen. Normalerweise haben wir Menschen jedes unserer dreiundzwanzig Chromosomen zweimal: eins von der Mutter, eins vom Vater, doch manchmal geht etwas schief: Aus irgendeinem Grund können dem Kind von einem Elternteil zwei Chromosomen übergeben werden, vom anderen eines. Daher sind plötzlich drei Chromosomen vorhanden. Das nennt man Trisomie. Ist das einundzwanzigste Chromosom betroffen, spricht man von Trisomie 21, dem Down-Syndrom.

Was bedeutet das jetzt? Wenn man den Begriff Down-Syndrom googelt, findet man einen gruseligen Katalog an Risiken und Krankheiten und Nicht-Können und Herzfehler und und und… Was aber schwieriger aufzuschreiben ist, ist das, was Menschen mit Down-Syndrom besser können, als wir „Normalen“. Hierzu aber dann im zweiten Teil dieses Artikels.

Down-Syndrom ist also eine genetische Mutation, deren Auftreten bestimmte Faktoren beeinflussen. Als sogenannte „Risikogruppe“ gelten vor allem Frauen über 30 - je älter die Mutter, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit auf die Mutation. Betroffen von der Trisomie ist in etwa eines von 500 geborenen Kindern. Jedoch werden es immer weniger, denn seit sich immer mehr Frauen für Fruchtwasseruntersuchungen entscheiden, ist die Abtreibung eines Kindes mit Trisomie 21, wenn es denn festgestellt wird, die Norm: 98% der Frauen, die durch eine solche Untersuchung erfahren, dass ihr Kind das 21. Chromosom dreimal hat, treiben ab.

Und was heißt das jetzt?

Wie kann man sich also ein Leben mit Trisomie 21 vorstellen? Die Antwort auf diese Frage ist erschreckend einfach und gleichzeitig nicht möglich, denn sie lautet: Fast wie jedes andere. Das ist eine sehr unbefriedigende Antwort, ich weiß, daher möchte ich euch etwas mehr über das Leben von Menschen mit Down-Syndrom erzählen. Ich habe nämlich das Glück, seit sechzehn Jahren mit einem solchen Menschen zusammenzuleben und ich kann euch sagen: Er ist verdammt nervig, bescheuert und unglaublich liebenswert, genau wie jeder andere kleine Bruder auch. Und ja, er hat zwar einen imaginären Hund und ist hauptberuflich Kommissar oder Ritter, aber so anders ist er dann eigentlich doch nicht.

So, jetzt kommen wir also zu dem Part, in dem ich sämtliche journalistischen Prinzipien über den Haufen werfe, ständig „ich“ verwende und fernab von objektiv mit meinem unglaublich süßen, kleinen Bruder angebe. Obwohl das Wort klein wohl unangebracht ist. Denn mittlerweile ist er sechzehn und wie er letztens meinte, wirklich alles andere als klein: „Mami, ich bin kein Kind mehr, ich habe Rückenhaare!“, hat er gerufen, als meine Mutter uns als „Kinder“ ansprach. Ich glaube, diese Aussage beschreibt ihn verdammt gut. Sozial ungefiltert, ehrlich, unbeschreiblich liebenswert. Er sagt, was er meint und zwar immer. Wenn ich mir ein neues Kleid kaufe und er es hässlich findet, sagt er das. Wenn ich meine Mutter über seine Schlafenszeit von letzter Nacht anlüge, weil ich ihm länger als erlaubt habe aufbleiben lassen, hat er einen Heidenspaß dabei, mich zu verpetzen. Wenn ich mit ihm ins Kino will, er aber keine Lust hat, gehen wir mit ziemlicher Sicherheit nicht. Aber wenn ich nach Hause komme und irgendwas nicht stimmt, merkt er das auf seltsame Weise und umarmt mich. Wenn ich mit niemandem reden will, kann ich einfach zu ihm kuscheln kommen und er stellt keine Fragen. Wenn ich ihn bitte, mir zu sagen, dass er mich liebt hat, weil ich es hören muss, dann macht er das. Einfach so. Und ich liebe ihn dafür, dass er beides ist: Unglaublich sensibel und ungnädig ehrlich.

Einen Bruder wie ihn zu haben, ist nicht immer leicht und oft sehr lustig. Man muss lernen, damit umzugehen, dass er laut brüllend und gegen nur für ihn sichtbare Krieger kämpfend im Garten rumrennt, wenn Besuch da ist und dass er meint, um fünf Uhr habe er ein Gespräch mit seinen Kollegen bei der Polizei und könne jetzt unmöglich schwimmen gehen. Man muss damit leben, dass er nie wie andere 16-Jährige sein und nur Mädchen, Computer oder Sport im Kopf haben wird.

Man muss lernen, damit klarzukommen, dass er manchmal so lange versucht, etwas zu sagen und nicht verstanden wird, dass er wütend aufsteht und weg geht und dass er sich unter einem Tisch verkriecht und weint und sagt, er will nicht behindert sein. Man muss damit leben, dass er davon träumt wie sein Papi in einem Büro zu arbeiten und hoffen, dass er es irgendwann schafft.

Denn eigentlich ist er mit all diesen Problemen nicht alleine. Jeder Mensch wird missverstanden und fühlt sich einsam. Jeder will mal nicht sein, wer er ist und muss lernen, sich selbst zu akzeptieren. Jeder hat Träume, die nie wahr werden. Und das ist es, was mir mein Bruder gelernt hat: Niemand ist normal, niemand hat es einfach und was zählt ist, dass man glücklich ist. Und das ist er, mein Bruder.

Und man muss lernen, dass das, dass er glücklich ist, mehr ist, als man sich je für jemanden, den man liebt, wünschen könnte.

Und dass es okay ist. Dass es okay ist, dass er nicht schreiben kann, denn er weiß dafür, wie sich die Menschen im Mittelalter angezogen haben und wie man glücklich ist. Dass es gut ist, dass er keine Ahnung von Mathe oder Fortgehen hat und dafür sämtliche Länder Europas, ihre Flaggen, Hauptstädte, Fläche und Einwohnerzahl kennt und Kommissar Rex schaut. Dass er okay ist. Nicht nur okay, sondern perfekt. Genau wie jede andere Mensch auch.

Aber diese Einstellung zu bekommen, braucht ein bisschen. Es ist okay, wenn du Angst hast. Das ist sogar verdammt normal. Wir alle haben Angst vor neuen Situationen und wissen anfangs nicht ganz, wie wir mit Menschen, die „anders“ sind, umgehen sollen. Aber bitte, lass nicht zu, dass diese Angst dich davon abhält, Menschen mit Trisomie als das zu behandeln, was sie sind: Einfach Menschen. Genau wie du auch. 

Wo kann ich mehr erfahren?

Wenn du dich zu dem Thema informieren willst, ist das ganz fabelhaft! Aber bitte pass auf, was du da liest. Viele Seiten machen unnötig Angst. Zum Beispiel findest du auf www.down-syndrom.at viele Infos rund um das Leben mit Trisomie 21, die Ängste nehmen, statt sie zu fördern. Besonders super ist dieser Artikel, der kurz, gut und sehr schön erklärt, was Down-Syndrom bedeutet:  www.down-syndrom.at/info-was-ist-das-down-syndrom/10-fragen-10-antworten.html

Am 21. 3. (INCEPTION) ist Weltdownsyndromtag. Er ist ein gutes Zeichen dafür, dass sich vor allem in den letzten Jahren rund um Down-Syndrom sehr viel getan hat - tolle Projekte entstehen überall. So zum Beispiel versucht dieser amerikanische Vater auf seinem Blog  das Bild von Down-Syndrom mit Hilfe toller Fotos zu verändern. Mit viel Feingefühl und Ehrlichkeit zeigt er, wie es ist, ein Kind mit Trisomie 21 zu haben: Ziemlich verrückt - so wie mit jedem Kind eben!

Kind spielt auf Wiese

Auch auf Instagram ist sein Feed eine wahre Augenweide. Definitiv einen Klick wert!

Ganz fabelhaft und in Wien zu Hause ist auch die weltweit erste Bühnenausbildungsstätte für Menschen mit Behinderung: die idance company. Fairer, normaler und menschlicher als die Leiterinnen der Werkstätte – Bea Vavken und Claudia Tenta - kann man seine KünstlerInnen gar nicht mehr behandeln. Ihrer Meinung nach, leben ihre Künstlerinnen mit Down-Syndrom und leiden unter dem Bedürfnis, ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Dieses Leiden zu lindern ist Inhalt, Auftrag und Sinn der idance company. Die Ergebnisse: phänomenal! Besonders dieses Video zeigt, dass diese TänzerInnen etwas schaffen, was nur wenigen gelingt: So authentisch sein, dass man gleichzeitig lachen und weinen will: Video.

Live erleben kann man die TänzerInnen der Company jedes Jahr besonders gut im Rahmen des Down-Syndrom-Festivals, das um den 21.3. in Wien stattfindet.

Plakate des Down-Syndrom-Festivals

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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