„Sag, wie hast du´s mit der Religion?“

Wissen
Andrea Ortner / 08.08.2017
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Ach, die Gretchenfrage (aus Goethes „Faust“, Anm.). Vielzitiert – und dennoch tunlichst zu vermeiden in einer Gesellschaft, in der Smalltalk groß geschrieben wird und reden wichtiger ist, als tatsächlich etwas zu sagen. In einem unbedachten Augenblick, die gesellschaftlichen Konventionen vergessend, höre ich mich jedoch plötzlich das Unvorstellbare aussprechen: „Ich kann mich mit diesem Katholizismus irgendwie nicht identifizieren.“

Im falschen Umfeld könnte solch eine Aussage einen kleinen Glaubenskrieg auslösen, denn leider mangelt es an einer anständigen Debattenkultur hinsichtlich dieses sensiblen Themas. Religiosität und Antireligiosität werden (zu) oft tabuisiert und kommt es doch einmal zu einem Gespräch, verfestigen sich extremste Positionen rasch – man ist entweder „Gotteskrieger“ oder macht sich der Blasphemie schuldig.
Versteht mich nicht falsch. Ich bin keine fanatische Atheistin, die am liebsten alle Religionen abschaffen würde. Als Darwinistin und Anhängerin des Humanismus kann mir die Schöpfungsgeschichte zwar gestohlen bleiben, aber dass der Mensch die Krönung der Schöpfung, die höchste aller Entitäten ist, scheint mir unzureichend. Es gibt zu viel, das wir nicht wissen und auch nicht verstehen können.

Aufgrund ebendieser Einstellung bin ich auch nach sagenhaften zehn Jahren (!) Religionsunterricht bei den EthikerInnen gelandet. Die Frustgrenze war erreicht. Da halfen auch die Gebetsfahnen, die Mandalas und die Fingermalfarben (o.k., Letzteres ist erfunden), die den Unterricht auflockern sollten, nicht viel.

 

Warum Ethik der bessere Religionsunterricht ist

Ethik als Unterrichtsfach wird oft belächelt, in vielen Schulen auch gar nicht erst angeboten. Warum das so ist, entzieht sich meinem Verständnis. Gesellschaftspolitische Themen, unterschiedliche Religionen, Glück und Sinnsuche werden von vielen verschiedenen Standpunkten betrachtet, erörtert und diskutiert. Zwar stehen ebendiese Dinge auch im Religionslehrplan, jedoch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dort jegliches Gespräch mit Blick durch die rosarote KatholikInnen-sind-die-Besten-Brille geführt wird. Eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die deutlich zeigt, dass KatholikInnen sich durchaus nicht ständig beweihräuchern müssen, ist somit nicht möglich. Warum? Ist es so schlimm, zuzugeben, Fehler gemacht zu haben? Ist die christliche Kirche, genauso wie alle anderen Religionen, nicht ein Gebilde, das im Laufe der Jahrhunderte viele Entwicklungen durchlaufen hat und aufgrund dessen dann und wann scheitern musste? Lernen kann man nur aus Fehlern! Ständig hören wir diese abgedroschene Phrase und doch verstehen wohl die wenigsten die Bedeutung dieser Worte.

Um die beste Version seiner selbst zu sein bzw. zu werden, muss man sich modernen Einflüssen aussetzten, offen sein für Neues und ja – man muss sich verändern. Das Abwenden vom Konservativen, dem Alten und die selbstkritische Reflexion der Vergangenheit sind die Basis, auf der man eine bessere, authentischere Zukunft errichtet. Papst Franziskus bemüht sich, mit gutem Beispiel voranzugehen – hoffentlich folgt bald der Rest der Kirche.

 

Der Mensch als gewissenloses Tier?

Noch nie zeitgemäß war und ist auch die Vorstellung, dass man, um ein guter und tugendhafter Mensch zu sein, streng nach Bibel/Koran/Tora/Veden usw. leben muss. Abgesehen davon, dass diese Werke nur von Menschen (nieder-)geschriebene, über die Jahrhunderte zuhauf veränderte Geschichten sind, spricht diese Voraussetzung den Menschen quasi jedes Moralverständnis ab. Natürlich ist „Du sollst nicht töten“ ein gutes, sinnvolles Gesetz. Jedoch hätte sich dieses Gebot auch ohne göttlichen Leitfaden in modernen Staaten etabliert. Das kommt daher, dass solch eine Tat schlicht unmenschlich ist und gravierende psychische Auswirkungen nach sich zieht. Eine funktionierende Gesellschaft braucht Regeln, an die sich alle StaatsbürgerInnen halten müssen. Wir ÖsterreicherInnen sind stolz auf unsere Demokratie und den weitgehenden Säkularismus, jedoch pochen einige immer noch speziell auf die christlich geprägte Verfassung. Die Frage ist, ob es sich hier tatsächlich um religiöse Einflüsse, oder aber vielmehr um Gebote der Moral und des Mensch-Seins handelt. Das eine schließt in diesem Fall das andere nicht aus, jedoch ist Religion sicher keine Grundbedingung für Moral und Tugend.
Wir entwickeln unser moralisches Verständnis nämlich vor allem durch Erziehung, später durch eigene Erfahrungen und durch das Lesen philosophischer Texte. Zwar kann auch die Religion ein gewisses Bewusstsein für rechtes Verhalten bilden, jedoch ist sie ganz sicher nicht dessen einzige Voraussetzung.

 

Ja, da ist etwas, das größer ist als wir

Die tiefsten ideologischen Gräben zwischen „Religiösen“ und „den anderen“ entstehen allzu oft dadurch, dass jeder „andere“ gleich als „irrgeleiteter Atheist“ bezeichnet wird. In ihrer maßlosen Arroganz und ihrem Wohlstand würden letztgenannte anscheinend jede höhere Instanz verleugnen und statt auf Gottes Macht zu vertrauen frönen sie lieber häretischem Egoismus. Das ist nicht nur eine gefährliche Verallgemeinerung, sondern auch unzutreffend. Nur bevorzugen manche eben anstatt eines allsehenden Rauschebartes und Non-helping-Bystanders, namentlich Gott, Allah, Jahwe, Indra… andere Begrifflichkeiten. Nennt es Zufall, nennt es Schicksal, nennt es Glück, nennt es Natur. Was immer dieses Höhere ist, es übersteigt das menschliche Verständnis, ist nicht erfassbar. Wir haben keinen Einfluss darauf, jedoch können wir selbst entscheiden, was wir aus den uns gegebenen Umständen machen. Das ist die unvollkommene Macht der Menschen. Es gibt keine absolute Kontrolle, die wir ausüben können. Daran ändert auch inbrünstiges Beten nichts.

 

Religion: ja, aber...

Wer nun schon einen Scheiterhaufen vorbereitet und den Vatikan am Telefon hat, der nehme sich bitte noch eine Minute Zeit, um diese restlichen Zeilen zu lesen. Jeglichen Religionen und deren AnhängerInnen gebührt– trotz allem – großer Respekt. Mögen die Beweggründe diverser Jünger auch nicht immer nachvollziehbar sein: Das Auftreten eines gemeinsamen Glaubens hat großartige Dinge hervorgebracht. Man denke an die Pyramiden Ägyptens, an die Tempel der Maya, an die wunderschönen Moscheen im arabischen Raum und die Kirchen des Kremls. Man denke an Mutter Theresa und ihre AnhängerInnen, die tausende Arme versorgten und an die CARITAS, die sich in unzähligen sozialen Projekten engagiert. Es ist wunderschön, zu sehen, wie Menschen geeint werden. Gleichzeitig darf dies nicht zu Radikalismus und Isolation führen. Es ist Zeit, dass die katholische Kirche (und alle anderen religiösen Gemeinschaften) ihre vielen Schatten überspringen, angefangen vom anachronistischen Frauenbild, über die Gleichstellung von Homosexuellen, bis zur Verhütung. Wir leben im 21. Jahrhundert, meine Güte! Genauso müssen auch jene toleriert und akzeptiert werden, die sich von traditionellen Glaubensrichtungen abwenden. In unserer globalisierten Welt ist es uns möglich, voneinander zu lernen und näher zusammenzurücken. Wir übernahmen durch die Araber das Zahlensystem der Inder, wir benutzen PCs aus China, Betriebssysteme aus dem Silicon Valley, wir hören südafrikanische Musik und essen mexikanisch. Wir übernehmen Elemente aus anderen Kulturen und stellen fest: Sie vernichten unsere eigene Tradition nicht, sie erweitern sie!
Warum sollte sich das mit der Religion anders verhalten? Meditieren nach Art des Zen-Buddhismus, Almosen geben, wie Muslime angehalten sind, es zu tun. Kühe nicht als Milchmaschinen, sondern als etwas Heiliges nach Vorbild der Hindus zu betrachten. Daran zu glauben, dass gute Taten ganz nach der Karma-Lehre, positive Resonanz erzeugen. Das Leben im Diesseits in den Mittelpunkt rücken, wie es in jüdischen Messen gepredigt wird. Erweitern wir unseren Horizont!

So werden Glaube und Religion zu einer spirituellen Reise - in die Welt und zu sich selbst.

 

So hab ich´s mit der Religion. Und du?

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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