Back to the Roots

Umwelt
Lizanne Daniel / 07.06.2016
altes Holz-Wagenrad

Sie tritt aus dem kühlen Dunkel des Hausflurs, leicht gebückt, die grauen Haare hochgesteckt. Mit einer derart energievollen Bewegung, wie ich es der alten Dame niemals zugetraut hätte, reicht sie mir die Hand. Ich schaue in ein von der Lebenserfahrung vieler Jahre gezeichnetes Gesicht mit lebendigen Augen und einem breiten herzlichen Lächeln. Ihr Name ist Margarete. Sie ist die Besitzerin des Misch- und Permakulturgartens Langerhorst im oberösterreichischen Hausruckviertel, ein Paradies für interessierte NaturliebhaberInnen. Der Hof wird regelmäßig von HelferInnen aufgesucht, die ihre Mithilfe gegen Kost und Quartier tauschen. So wie Ben, ein Freund, durch den ich die Gelegenheit bekam, einige Stunden in ein Leben fernab von Hektik, Stress und Profitstreben einzutauchen.

Ich bin überrascht, hier nicht etwa wie ein Gast, eine Fremde begrüßt zu werden, sondern vielmehr wie ein lang vermisstes Familienmitglied, das nun endlich wieder zurückgekehrt ist. Die beiden PraktikantInnen, Mo und Pauline aus Deutschland, sowie Flora und Leonie aus der Waldorfschule habe ich bereits kennengelernt.

Pünktlich um neun Uhr morgens versammeln sich alle vor dem Haus, vollbepackt mit Eimern, Handschuhen und Wasserflaschen, und die kleine Gruppe macht sich auf in Richtung Garten. Langsam und ohne Hast. Hier an diesem kleinen Fleckchen Erde scheinen die Uhren anders zu ticken. Bereits wenige Minuten nach meiner Ankunft, nach einer stressigen Autofahrt, vollgedröhnt mit hupenden Autos, Baustellen und der monotonen Stimme des Navigationsgeräts, fühle ich mich entschleunigt. Losgelöst.

Freundlich aber bestimmt verteilt Margarete die Aufgaben für die nächsten Stunden. Zusammen mit Ben und Mo werde ich zu den Brombeeren geschickt. „Freilegen“ lautet der Auftrag. Während ich mir zunächst relativ wenig darunter vorstellen kann, ändert sich das doch sehr rasch, als ich mich wenige Minuten später inmitten von Brennnesseln kniend und Unkraut rupfend wiederfinde. Doch ich spüre weder das Brennen auf meiner Haut noch die drückende Schwüle in der Luft, so sehr genieße ich es, nach wochenlangem Lernstress und ewigem Verharren über Schulbüchern, draußen zu sein, umgeben von Natur und unendlicher Ruhe. Während wir arbeiten, erfahre ich viel über Ernährung, Pflanzen und deren Wirkung und merke von Minute zu Minute, wie sich mein Weltbild ein kleines Stück verändert. Das gejätete Unkraut lassen wir liegen – es verrottet und wird wieder zu Erde, womit sich der Kreislauf schließt.

Als nächstes geht’s mit Flora in den Wald. Während wir mit vereinten Kräften die Komposterde aussieben, erzählt sie mir aus dem Leben einer Waldorfschülerin und über ein Schulsystem, das nach völlig anderen Prinzipien funktioniert. Sie ist ein aufgewecktes fröhliches Mädchen, und wir lachen immer noch, als wir einige Zeit später gemeinsam mit ihrer Freundin Leonie und mit frisch gepflücktem Blattspinat bewaffnet mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beginnen. Emanuel, Margaretes Sohn, hilft uns. Obwohl er erst 36 Jahre alt ist, weiß er viel zu erzählen. Er berichtet von seinen Reisen, von Workshops über Umweltethik und wie es ist, vegan aufzuwachsen.

Gegessen wird zusammen am großen liebevoll gedeckten Holztisch. Obwohl sich alle erst seit kurzem kennen, bemerke ich keinen einzigen Moment unsicheren Schweigens. Es wird gelacht und geredet, und ein weiteres Mal registriere ich diese Ruhe und Bedachtheit, die mich hier von Beginn an auf Schritt und Tritt begleitet haben. Nicht eine einzige hastige Bewegung, kein hektisches Schlingen. Es ist, als würde die Zeit hier nach einer anderen Einheit gemessen. So ganz anders als ich es aus meiner Welt kenne.

Es ist Samstag, das heißt freier Nachmittag. Ein wolkenloser Himmel und strahlende Sonne locken mit unbestechlichem Charme, die malerische Landschaft zu erkunden. Die Farben erscheinen hier so viel satter und leuchtender, die Kontraste schärfer als in der Stadt, wo alles von Abgasen und Lärm verzerrt wird. Und als ich dem Wind zuhöre, der im Rauschen der Blätter seine Geschichten erzählt, umgeben von weichem Grün, das sich sanft im Rampenlicht der Sonne wiegt, da bin ich einfach nur glücklich.

Zurück am Hof verabschiede ich mich von den Menschen, die mir heute vermutlich sehr viel mehr gegeben haben als sie ahnen und die ich binnen weniger Stunden in mein Herz geschlossen habe.

Langsam gehe ich zurück Richtung Auto, Richtung einer von IT und Oberflächlichkeiten beherrschten Welt. Eine Welt, die ich Zuhause nenne. Und als ich mich umdrehe und zurückblicke auf das bis an den Horizont und noch viel weiter reichende Grün und die laue Abendluft einatme, da fühle ich etwas, das ich noch nie zuvor in dieser Intensität gefühlt habe - Fernweh.

In diesem Augenblick wird mir bewusst, dass es da draußen noch weit mehr gibt als ich je geahnt hatte. Und ich kann es kaum erwarten, etwas mehr davon zu entdecken.

Zum Weiterlesen: Permakultur - naturnahe Gestaltung von Lebensräumen

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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