Darfs ein bisserl mehr sein? – Ein Plädoyer für die Kinderserien der 90er

Leben
Lena Hinterhölzl / 22.01.2020
Kind von hinten, das vor einem Fernseher sitzt.

„Warum bin ich so fröhlich, so fröhlich so fröhlich, so ausgesprochen fröhlich, so fröhlich war ich nie!“ Die ohrwurmgefährdende Titelmelodie der Kinderserie Alfred J. Kwak täuscht. Was auf den ersten Blick nach Halligalli und Friede Freude Eierkuchen klingt, entpuppt sich als Verarbeitung tiefsitzender Menschheitsprobleme und tagesaktueller Themen. Damit ist die Serie bestes Beispiel dafür, wie Kinderfernsehen niveauvoller aufbereitet werden könnte.

 „Plätscher, plätscher Feder, Wasser mag doch jeder“

Die von Herman van Veen geschriebene und 1989 produzierte Kinderserie wirft ihr junges Publikum buchstäblich ins kalte Wasser. Denn obwohl die Serie recht bunt und fröhlich produziert ist, werden die Zuseher*innen mit beinharter Realität anstatt süßer Romantik konfrontiert.
Alfred Jodocus Kwak ist eine kleine Ente aus Großwasserland, neugierig und immer auf der Suche nach Abenteuern. Bei einem Unfall verliert er seine gesamte Familie und wird daher von einem Maulwurf namens Henk adoptiert. Alfred wächst heran in einer bunten Tierwelt, Menschen sieht man in der Serie maximal als Attraktion im Zirkus. Doch auch die Tierwelt von Alfred ist alles andre als heil. Unterdrückende politische Systeme, Apartheit, bunteste Familienkonstellationen, Klimawandel und der Verlust von geliebten Menschen sind maßgebende Bestandteile der Handlung. Eine machtgierige Krähe tritt mit Hitlerbärtchen und strammem Seitenscheitel auf, um die politische Führung an sich zu reißen, schwarze werden von weißen Gänsen in Gänseland unterdrückt, die Schmelze der Pole wird thematisiert und Wale von Walfängern verfolgt. Die kleine Ente Alfred bleibt jedoch stets optimistisch und gut gelaunt. Zusammen mit seinen Freunden schafft er es wieder und wieder, das Blatt zum Guten zu wenden.

„So viele Fragen hat ein Kind“

Auf Wissensvermittlung durch kunstvolle Zeichentrickproduktionen setzt auch die Serie „Es war einmal…,  aufgeteilt auf mehrere Staffeln: Es war einmal Amerika, Es war einmal das Leben, Es war einmal der Weltraum, Es war einmal der Mensch und Es waren einmal Entdecker und Erfinder.
Die Serie vereinfacht biologische Prozesse, die Geschichte der Menschheit und unserer Erde, sowie astronomische Vorgänge auf eine liebevolle Art und Weise, um Kindern die zahlreichen Fragen zu beantworten, die ihnen im Kopf herum schwirren.
Der Filmproduzent Albert Barillé schuf mit seiner Serie eine gelungene Komposition aus spannungsgeladener filmischer Darstellung und kompetenter Wissensvermittlung – das Erfolgsrezept der meisten Kinderserien der 90er.

Schriller, schneller und absurder

Im letzten Jahrhundert war es also Gang und Gebe, Kinder im bewegten Bild nicht zu verhätscheln, sondern ihnen bereits sehr früh und durchaus auch eher schonungslos zu zeigen, wie der Hase in der echten, großen Welt so läuft. Und heute?
Heute findet man* unter den Top 10 Kinderserien laut Netflix die Serien Caillou, Mascha und der Bär, Trolljäger oder Pokemon. Alles größtenteils in Asien produzierte Serien, die die Hirne von Kindern in irrsinniger Geschwindigkeit mit schillernden Bildern vollpumpen. Nichtige Geschichten werden erzählt, die weder Mehrwert besitzen noch besonders sind, teilweise sogar brutale und gewaltverherrlichende Bilder enthalten.
In „Mascha und der Bär“ dreht sich die Handlung etwa um das kleine quirlige Mädchen Mascha, das seinem durch Zufall gefundenen Ziehvater – dem Bären – mit seinen Späßen und Streichen einiges an Ärger bereitet. Der Bär spricht nicht, verständigt sich jedoch durch Mimik und Gestik, wird dabei zuweilen richtiggehend aggressiv. Währenddessen zerlegt Mascha mehrmals die Holzhütte der beiden, wirbelt dabei in den buntesten Farbstrudeln herum, sodass das gesamte Bild zu einer einzigen Farbfläche verkommt. Hysterische Lacher und wütendes Gegrummel begleiten das Geschehen akustisch.

Sehr viel Action – nicht ohne Folgen

Dass derartige Szenarien und Geräuschkulissen für die frühkindliche Entwicklung wenig förderlich sind, ist mittlerweile nicht mehr bloße Spekulation. Die Amerikanische Akademie für Pädiatrie (AAP) ließ beispielsweise gut 50 Studien auswerten, die die Auswirkungen von Fernsehkonsum auf Kinder seit 1999 untersuchten. Die Ergebnisse sind eindeutig: „Wenn Kinder in den ersten Lebensjahren viel vor einem Bildschirm sitzen, sind sie beim Schulstart eher sprachlich gehemmt“, so eine der beteiligten Autor*innen, Ari Brown. Des Weiteren könne auch der von all den Bildern volle Kopf die Kinder am Schlafen hindern. Dies wiederrum führe zu Schlafmangel und in Folge dessen zu Verhaltensstörungen oder gesundheitlichen Schäden.
Auch der Pädagoge Dieter Höltershinken bestätigt: Kinder, die besonders lange vor dem Bildschirm sitzen, seien „vorwiegend negativ aggressiv, phantasiearm und träge“.
Und dennoch werden derartige Serien in Massen produziert, an die Massen ausgestrahlt. Und niemand erinnert sich mehr daran, dass auch Fernsehen einst dazu bestimmt war, Menschen weiter zu bilden.
Aber ist es denn wirklich zu viel verlangt, von der Unterhaltungsindustrie mehr zu fordern, als bloß die Komödie und die pure Zerstreuung?

Kinderfernsehen heute unterfordert

Wir lassen uns lieber berieseln von unkomplizierten Storylines, gespickt mit liebenswerten Charakteren. Denn das letzte was wir wollen, ist andre zu überfordern und um Himmelswillen schon gar nicht unsere Kinder.  Dass wir hierbei aber bereits Gefahr laufen, Kinder am Ende zu unterfordern, sie nicht genug im kreativen, eigenständigen Denken zu fördern, übersehen wir gewissenhaft. Denn auch wenn die Serien der 90er Jahre für viele Kinder unter zehn möglicherweise ebenfalls eine Überforderung wären, so hatten sie zumindest den Zweck, einen Denkprozess anzuregen. Denn wenn schon „fernschaun“ im Kindesalter, dann bitte nachhaltig.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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