Der Aufstieg des Deutschrap

Kultur & Events
Elias Bernhard / 05.01.2020
LGoony und Crack Ignaz auf dem Spektrum 2016

Einst stieß die breite Öffentlichkeit nur auf Deutschrap, wenn Bushido sich bei Markus Lanz für seine Texte zu rechtfertigen oder Sido sich als Juror bei der „Großen Chance“ im ORF nach Provokationen von Domenic Heinzl nicht unter Kontrolle hatte. Dazu kommen noch die Anti-Semitismus-Vorwürfe an Farid Bang und Kollegah aus dem Jahr 2018. Da die Rapper trotz einer geschmacklose Line den „Echo“ für ihr Album „Jung Brutal Gutaausehend 3“ erhielten, sprach das ganze Land über die sexistische, homophobe und antisemitische Musik. Dass Deutschrap, wie unsere gesamte Gesellschaft noch einige Baustellen vor sich hat, ist nicht klein zu reden. Nichtsdestotrotz kann ein großes Genre nicht auf Einzelfälle reduziert werden. Problematiken in der Szene bieten jedoch genug Stoff für etliche weitere Blogs.

Mittlerweile ist die Mitte der Gesellschaft dauerhaft mit der einstigen Subkultur konfrontiert. Deutschrap im Radio. Deutschrap im Club. Deutschrap in den Charts. Vor 10 Jahren noch unvorstellbar und heute Realität. In den TOP 40 Austrian Single Charts befinden sich in den TOP 10 gleich 7 Deutschrap Songs. Dieses Jahr gab es bereits 16 Nummer-eins-Hits (Stand 01.12.19). 2017 gab es erst zwei Nummer-eins- Erfolge. Wie kam es dazu, dass dieses „Genre“ sich binnen der letzten Jahre, trotz Skandalen in den österreichischen Charts etablieren konnte? 

Social Media

In den 2010er Jahren war die Deutschrap Landschaft geprägt von großen und lang geplanten „Promo-Phasen“, welche die potentiellen ZuhörerInnen auf ein erscheinendes Album einstellen sollte. Lange Interviews mit diversen Hip-Hop-Plattformen gaben dem Fan die Möglichkeit die KünstlerInnen besser kennenzulernen und sich mit ihnen zu identifizieren. Sehr früh begannen die RapperInnen sich nach dem Vorbild der amerikanischen Größen sich auf „Social-Media“ selbst zu präsentieren und eine Nähe zu ihren Fans zu schaffen. Dadurch kann mit dem/der Künstler/in interagiert werden und die Distanz zum „Star“ verringert sich enorm. 

Streaming-Dienste 

Auch wenn die Vinyl-Schallplatte im Moment einen zweiten Frühling erlebt, muss sich auch der größte CD-Fan eingestehen, dass die Zeit der optischen Datenspeicher zu Ende ist. Streaming-Anbieter dominieren und prägen die Musikanbieter wie kein Zweiter. Seit dem Jahr 2014 werden Streaming-Zahlen auch bei der Erhebung der Charts berücksichtigt. Im Verhältnis von 100:1 werden die Streams von Premium-Accounts zu den physischen und Download-Verkäufen hinzugerechnet. Ein Song muss insgesamt mindestens 30 Sekunden angespielt werden, um in die Wertung einzufließen. Kein anderes Genre wusste diese Änderung für sich so gut zu nutzen wie der Hip-Hop. Viele RapperInnen veröffentlichen immer kürzere Titel ohne langem Intro, um die ersten 30 Sekunden möglichst attraktiv zu gestalten. Dadurch soll der Song möglichst nicht übersprungen werden und der Stream in die Chartbewertung miteinfließen. Der Aufruf von RAF Camora und Bonez MC an die Fans, ihre neuesten Songs in Dauerschleife laufen zu lassen, hat in den Charts seine Spuren hinterlassen. Die Ö3-Charts änderten als Reaktion auf die Übermacht des Deutschrap-Duos im Oktober 2018 ihre Bewertungsregeln. 13 der Top 14 Plätze stammten aus ihrem Album „Palmen aus Plastik 2“. Seitdem haben nur die drei meistgestreamten Songs eines Albums die Chance, sich in den Charts zu platzieren.

RAF Camora und Bonez MC auf dem Cover zu "Palmen aus Plastik 2"

Urheber/Foto: Pascal Kerouche,  Quelle: Wikimedia, Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de, no changes made

Angepasste Musik 

Die erfolgreichsten Deutschrapsongs waren Anfang der 2010er Jahre noch sehr an den Pop angelehnte Tracks à la „Astronaut“ von Sido mit Andreas Bourani oder Cro mit seinem Hit „Traum“. Hip-Hop ist eine Kultur, welche sich in ihren Anfängen Teile anderer Musikrichtungen bediente und für sich selbst weiterentwickelt hat. Gesampelt, sprich Teile eines Musikstücks in einem neuen Kontext wiedergegeben, wurden in den 80ern vor allem Soul, Funk und Discosongs. Im Laufe der Geschichte wurde so aus allen möglichen Genres Inspiration für eigene Tracks gesammelt. Das bereits erwähnte Duo „RAF Camora und Bonez MC“ haben mit ihrem Album „Palmen aus Plastik“ mit einem neuen Soundbild Geschichte geschrieben. Inspiriert von französischen Rappern wie MHD brachten sie den sogenannten Afro Trap zu uns. Mit afrikanische „Drums“, melodischen Refrains, „Dancehall“ sowie „Reaggee-Elementen“ schufen sie einen neuen tanzbaren Style, der in den folgenden Jahren die Deutschraplandschaft wie kein Zweiter prägte. „Plötzlich war´n Gangster am Tanzen auf westafrikanische Sample“, reflektiert RAF Camora dann ein Jahr später. Gerade die melodischen „Hooks“ sind seitdem nicht mehr weg zu denken und verhalfen auch Straßenrappern, wie Capital Bra an die Spitze der Charts. 

Playlists 

Auf der Streaming-Plattform Spotify gibt es im deutschsprachigen Raum zwei große, vom Anbieter selbst betreute Playlisten, welche die Rapmusik in den letzten Jahren fundamental verändert haben. „Modus-Mio“ und „Deutschrap-Brandneu“ sind zusammen von über 2 Millionen NutzerInnen abonniert. Wenn ein/e Künstler/in sich in einer der Playlists platzieren kann, wird der Song quasi schon zum Selbstläufer, da viele HörerInnen blind auf die Auswahl vertrauen. Mit der Motivation sich in den Playlisten wiederzufinden wird der Stil der Musik möglichst ähnlich zu den anderen Titeln produziert, um die gleichen HörerInnen zu erreichen. So kann der Anbieter, jedoch auch selbst bestimmen, welche KünstlerInnen in Kürze erfolgreich werden. 

Ob gewünscht oder nicht, ist die einstige Subkultur nun im Mainstream angekommen. Durch Social Media, Streaming-Dienste und den Wandel der Musik gelang der Durchbruch in die Charts. Auch wenn so manchen „True-Schooler“ bei dem Anblick der Charts die Baggy-Jeans verrutscht oder der Ghetto Bluster von der Schulter fällt, kann der Erfolg der Rap Musik nicht angezweifelt werden. Das Aufeinandertreffen des Mainstreams mit der Hip-Hop Kultur wird gerade durch die Präsenz in den Charts in der Zukunft noch zu vielen Reibungspunkten führen.

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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