Der Traum vom Siegen

Kultur & Events
Sharon Muska / 09.06.2016
Fussball Corner

Österreichs Fußball-Nationalmannschaft verzaubert gegenwärtig das ganze Land. Als Belohnung darf sie zur Europameisterschaft nach Frankreich – die Hoffnung auf ein besseres Abschneiden als bei der letzten Teilnahme lebt

 

Wir schreiben die 92. Spielminute - der Ball liegt auf dem Rasen, die Stimmung ist aufgeheizt. Gut 51.000 Zuseher im Stadion und 1,67 Millionen vor den TV-Geräten atmen tief durch, drücken die Daumen, fiebern mit. Nur wenige Augenblicke später springen sie auf - der Ball ist im Tor, der Jubel groß. Ivica Vastic krönt sich mit dem verwandelten Elfmeter gegen Polen nicht nur zum ältesten EM-Torschützen aller Zeiten, sondern sorgt auch für den einzigen Lichtblick der Österreicher bei ihrer Heim-Europameisterschaft. Es soll das letzte österreichische Tor der EM bleiben, die Gruppenphase wird mit einem Punkt aus drei Spielen abgeschlossen, Teamchef Josef Hickersberger tritt zurück. Finstere Zeiten für den österreichischen Fußball. 

 

Acht Jahre später steht wieder eine Fußball-Europameisterschaft auf dem Programm, das zweite Mal mit österreichischer Beteiligung, das erste Mal nach sportlicher Qualifikation. Die Erwartungshaltung ist eine andere, weit höhere, als 2008, und das zurecht – denn Teamchef Marcel Koller hat es geschafft, seit seinem Amtsantritt im November 2011 aus der Nationalmannschaft eine Einheit zu formen. Acht von elf Leistungsträger seiner Stammformation in der abgelaufenen EM-Qualifikation waren bereits bei seinem ersten Länderspiel als Teamchef gegen die Ukraine in der Startelf. Natürlich hat Koller auch immer wieder andere Spieler ausprobiert, in erster Linie wusste er aber, welchen Leuten er vertrauen kann – und hat kontinuierlich auf diese gesetzt, anstatt wie etwa sein Vorgänger Didi Constantini permanent neue Taktiken und Aufstellungen auszutesten.

 

Ist man an der Qualifikation für die Fußball-WM in Brasilien 2014 noch knapp gescheitert, dominierte die ÖFB-Elf ihre Gruppe in der aktuellen EM-Qualifikation und setzte sich ungeschlagen durch. Die Statistiken lesen sich beeindruckend, in zehn Spielen wurden 28 Punkte geholt, nur fünf Gegentore zugelassen, dafür im Schnitt aber mehr als zwei pro Spiel geschossen. Selten zuvor spielte eine österreichische Nationalmannschaft so souverän, und das zeigt sich auch bei einem Blick auf die FIFA-Weltrangliste: Im November des letzten Jahres erreichte Österreich erstmals die Top 10, als Zehnter fährt man auch zur Europameisterschaft – besser platziert als etwa die Fußball-Großmächte Niederlande, Italien und England. 

 

Spieler und Trainer harmonieren

 

Der Hauptgrund für diesen Aufschwung sind wohl Marcel Koller und dessen Führungsqualitäten. Marko Arnautovic, einst als Problemkind verschrien, avancierte unter dem Schweizer zum Leistungsträger. Vor allem deshalb, weil Koller ihm vertraute, ihn motivierte, anstatt ihn – wie einige seiner Vorgänger - von Beginn an abzuschreiben. Ein weiteres Paradebeispiel für das Fingerspitzengefühl des Trainers ist Marc Janko – als der Stürmer 2013 von seinem damaligen Verein Trabzonspor aus ungeklärter Ursache suspendiert wurde, und in Folge dessen fast sieben Monate lang Einzeltrainings absolvieren musste, kam er im Nationalteam unter Koller dennoch zum Einsatz. Janko dankt es dem Teamchef, mit sieben Toren in neun Spielen wurde er mit Abstand zu Österreichs bestem Torschützen in der abgelaufenen EM-Qualifikation. 

 

Neben dem Trainer haben vor allem die Spieler maßgeblichen Anteil an diesem Erfolgslauf. Nahezu der gesamte Kader des Nationalteams spielt mittlerweile in internationalen Topligen, und auch hier kristallisiert sich ein großer Unterschied zur Heim-EM 2008 heraus: waren vor acht Jahren noch 13 Spieler aus der heimischen Bundesliga mit dabei, ist es jetzt nur noch der Torhüter Robert Almer – welcher jedoch ebenfalls internationale Erfahrung und durchwegs fehlerlose Leistungen in bisherigen Länderspielen mitbringt. David Alaba sicherte sich heuer mit seinem Club, Bayern München, bereits zum fünften Mal die deutsche Meisterschaft, Christian Fuchs gewann erst vor wenigen Wochen mit Leicester City die Premier League, Aleksander Dragovic und Kevin Wimmer werden mit ihren Vereinen im nächsten Jahr ebenfalls in der Champions League spielen. Möglicherweise gelingt auch noch dem ein oder anderen weiteren Spieler des Nationalteams dieser Sprung – mit guten Leistungen bei der Euro empfiehlt man sich leicht für den Wechsel zu einem international angesehenen Verein.

 

Form noch ausbaufähig

 

Nichtsdestotrotz heißt es aufpassen, denn nach den Leistungen in den letzten Testspielen ist klar – die Europameisterschaft wird kein Selbstläufer. Nach dem müden 2:1 Erfolg gegen Malta setzte es gegen die Niederlande mit 0:2 eine klare - und verdiente - Niederlage. Die Mannschaft wirkte ideenlos und längst nicht so spielfreudig wie noch vor ein paar Monaten, häufig fehlte es am letzten Pass oder der Fähigkeit, gut herausgespielte Aktionen konsequent zu Ende zu kombinieren. Es wäre zu einfach, die gezeigten Leistungen komplett auf die noch nicht abgeschlossene Vorbereitungsphase zu schieben, das Team muss diese jedoch nutzen, um sich in Sachen Taktik und Konzentration noch den Feinschliff zu holen. 

 

Die Gruppenphase ist mit Ungarn, Portugal und Island als Gegner zwar anspruchsvoll, aber machbar, sofern die Spieler an die Heldentaten der Qualifikation anknüpfen können. In jedem Fall kann das Team stolz auf sich und die erreichten Erfolge sein, doch selten zuvor war die Chance, in die Play-Offs eines Fußball-Großereignisses zu kommen, so groß wie diesmal. Und eines ist klar – ist man erst einmal dort angekommen, ist alles möglich. Der Traum vom Siegen – er lebt.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 23.04.2024 bearbeitet.

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