Die Welt ist Schwarz und Weiß

Leben
Anna Putz / 12.06.2018
Blackwhite

Menschen lieben Regeln nach denen man beurteilen, Systeme in die man einteilen und Schubladen, in die man stecken kann. Wir wachsen in einer Welt auf, in der alles schwarz oder weiß, gut oder böse, schön oder hässlich, a oder b ist. „Braves Kind“, sagen wir, wenn Kinder unserem Wunsch nach handeln, und rügen sie, wenn ihr Verhalten nicht mit unseren Vorstellungen einhergeht. Denken in Regeln, Systemen und Schubladen macht uns starr, es lähmt. Aber vor allem beeinflusst es die Beziehung zu uns selbst – am liebsten urteilen wir nämlich nicht über andere, sondern uns selbst.

A > B

Etwas worüber ich viel zu sehr nachdenke, obwohl ich es nicht sollte, sind Noten – Leistungsbeurteilungen, wie man so schön sagt.

Am besten erinnere ich mich an meine Deutschnoten im Gymnasium, die – obwohl ich schon als kleines Kind das Schreiben und Lesen liebte – nie meine besten Noten waren. Im Gegensatz dazu schrieb meine beste Freundin Sehr gut nach Sehr gut, was mich damals in eine ziemlich ausgereifte Sinnkrise katapultierte. Ich stellte unsinnige Vergleiche an, suchte Antworten auf Fragen, die es nicht gab und missbilligte mich selbst für meine Deutschnoten. Was ich damit sagen möchte: Der Vergleich mit anderen ist der Kern alles Übels. Dennoch lebt und liebt die Gesellschaft Vergleiche – je höher die Diskrepanz, desto besser. Intelligenter, schöner, ehrgeiziger oder lustiger als Person X zu sein ist für ein Kompliment, etwas Erstrebenswertes. Genau deshalb stellen wir Vergleiche auch an: Wir erhoffen uns etwas Positives davon. „Der Hakn an der Gschicht’“, wie mein Opa sagen würde, ist aber der: viel öfter, als wir etwas vermeintlich Gutes davontragen, werden wir enttäuscht. Von unseren Leistungen, unserem Körper, unserem Humor, von uns selbst. Wir selbst sind unser schärfste/r Kritiker/in, weil wir es schlicht und ergreifend nie anders erlernt haben.

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#selflove = Vergebung

14.871.945 Beiträge findet man auf Instagram, wenn man nach #selflove sucht, Tendenz steigend. Istanbul hat also weniger EinwohnerInnen, als jener Hashtag Beiträge zählt. Egal ob InternetratgeberIn oder Instagram-Model – das Credo lautet: LIEBE DICH SELBST. Wenn man so will, ist es der Schlachtruf der Generation Social Media. Bestes Beispiel: Sarina Nowak.

Könnt ihr euch noch an die Kandidatinnen von Germany’s Next Topmodel 2009 erinnern? Wahrscheinlich lautet die Antwort nein. Sarina Nowak nahm vor fast 10 Jahren an der Show teil – Jobs blieben nach der Castingshow allerdings aus, zumindest eine Zeit lang. Die Kehrtwende kam, als sie Gewicht zunahm und begann, sich als ‚Curvy Model’ zu deklarieren. In sozialen Netzwerken als Vorbild gefeiert, gilt Nowak als Galionsfigur der ‚Liebe-dich-selbst’-Bewegung.

Das Problem: Sich selbst zu lieben ist aber nicht so einfach. Sich vor einen Spiegel zu stellen und sooft „Ich liebe mich“ zu sagen, bis man es glaubt, erscheint mir nicht die Lösung für das Problem zu sein. Denkstrukturen lassen sich nicht „wegreden“, genauso wenig wie die eigene Wahrnehmung.

Das Schlüsselwort: Vergeben. Und zwar sich selbst.

Dafür, dass man nicht immer der oder die Beste ist.

Dafür, dass man nicht der Norm entspricht.

Dafür, dass man nicht in jede Schublade passt.  

Die Welt ist bunt

Nicht jede/r kann Einser in Deutsch schreiben, Modelmaße vorweisen oder preisverdächtige Talente haben. Mit dem Finger auf sich selbst zu zeigen und für Sachen zu hassen, die man macht oder eben auch nicht, ist sinnbefreit und tut weh. Schwächen, Makel und wunde Punkte sind ok – sie machen uns menschlich. Selbstliebe ist ein Prozess; sie ist nicht von heute auf morgen da. Blöderweise ist die Welt, in der wir leben Schwarz und Weiß – aber unsere eigene Welt, die können wir uns bunt machen.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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