Dunkelgraue Weihnachten

Leben
Felix Stippler / 21.12.2016
Junge blickt aus aus einem verregneten Fenster

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie. Wie wird dieses Fest aber in einem Haus gefeiert, dessen BewohnerInnen in ihrem Alltag kaum Liebe erleben und, aus welchen Gründen auch immer, nicht mit ihrer Familie feiern können? Vielen Menschen geht es zu Weihnachten alles andere als gut und das nicht, weil sie nicht das Geschenk bekommen haben, das sie sich gewünscht haben, sondern weil sie keine eigene Wohnung haben, sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, den ganzen Tag in der Eiseskälte zu verbringen und zu betteln.

Ich habe mich für diese Ausgabe des Youth-Reporter-Adventkalenders mit einer Bewohnerin einer Obdachlosenherberge über Weihnachten und das Leben in der Herberge unterhalten. Inge* ist eine ältere Frau, die sich ihr Geld mit dem Verkaufen des 20ers, der Tiroler Stadt- und Straßenzeitung, verdient, Gehhilfen benötigt und die, wie die 87 anderen BewohnerInnen des Hauses, den Heiligen Abend nicht in ihrer Wohnung im Kreise ihrer Familie verbringen kann. Vor ihrer Tür stehe ich 5 Minuten und klopfe an. Dass jemand im Zimmer ist weiß ich, da ich durch die Tür schon laut dazu aufgefordert wurde das Klopfen doch bitte zu unterlassen. Schlussendlich macht mir ihre Mitbewohnerin dann doch auf. Das Zimmer ist gerade groß genug für die Betten und Habseligkeiten der beiden. Inge bietet mir einen Sitzplatz auf ihrem Bett an, ihre Mitbewohnerin bricht Salzstangerl klein und gibt sie in eine Plastikbox.

Inge: „Tut mir leid, dass wir dich nicht hinein gelassen haben, wir haben gedacht du wärst ein anderer Heimbewohner, der Geld oder Zigaretten haben will. Es kommt andauernd vor, dass jemand anklopft und etwas haben möchte. Ruhe haben wir so gut wie keine, deswegen hat meine Freundin Lara* auch geschrien.“

YRT: Kein Problem, danke dafür, dass du dir die Zeit für mich genommen hast. Am Samstag ist heiliger Abend, wie sieht der 24. Dezember bei euch aus?

I: „Oooh. Da kommt die Frau Bürgermeisterin um 12 zum Mittagessen. Wobei 12 eine Zeit ist, zu der die meisten BewohnerInnen nicht im Haus sind, ich bin zum Beispiel beim Arbeiten, andere sind einkaufen. Beim Mittagessen sitzen dann hauptsächlich die Betrunkenen. Wenn man das Essen um eine halbe Stunde, auf 12:30 verschöbe, könnten mehr Leute kommen, aber daran denkt anscheinend niemand.  Am Abend, um 20:00,  gibt es eine Gebetsrunde um den Christbaum, danach gibt es Nudelsuppe mit Würstel und das ist Weihnachten. Ein kleines Sackerl kriegt man auch noch, mit einer Tasse, einer Zahnbürste, einem Landjäger und sonst noch anderen Sachen.“

YRT: Wie können junge Leute euch nicht nur die Weihnachtszeit, sondern euren Alltag generell, verschönern?

I: „Also ich muss ehrlich sagen, wir hätten eine Riesenfreude, wenn ihr mal vorbeikommen und mit uns zum Beispiel eine Runde spazieren gehen würdet. Vielleicht nimmt sogar jemand einen Hund mit. Dann könnten wir ein bisschen Liebe geben und den streicheln. Es hat mich auch sehr gefreut, als du mich auf der Maria-Theresienstraße angesprochen hast und mich um das Interview gefragt hast. Oder uns einfach ansprechen und sich mit uns auch über uns und unsere Probleme zu unterhalten. Uns die Möglichkeit geben, uns auszureden und uns zuzuhören. Das wär‘ etwas, das uns wirklich Freude machen würde. Vom Haus gibt es so ein Angebot nicht.“

YRT: Gibt es etwas das du dir dieses Jahr wünschst?

I: „Das sich hier viel ändert. Wir haben Pärchen im Haus, die sich um 1:00 heimlich treffen müssen, um ein wenig Privatsphäre zu haben. Es bräuchte separate Trakte, einen für Frauen, einen für Männer und einen für Paare. Es bräuchte mehr Freizeitangebote für die BewohnerInnen. Es gibt hier einfach nichts, wir haben nichts zu tun. Keinen Tischtennistisch, keinen Platz, wo man zu viert hingehen könnte um zu spielen, weder ein Mensch-ärgere-Dich-Nicht, noch Möglichkeit, sich Bücher auszuleihen noch sonst etwas. Am Nachmittag ist keiner da, der sich um einen kümmern würde, außer manchmal die vom Pflegedienst. Eine richtige Freizeitgestaltung wäre ein großer Wunsch, nicht nur von mir, sondern von fast allen BewohnerInnen.“

YRT: „Danke vielmals für das Gespräch Inge.“

 

Bitte macht euren Mitmenschen, denen es schlecht geht ein kleines Geschenk, geht auf sie zu und unterhaltet euch mit ihnen. Selten habe ich es erlebt, dass sich jemand so darüber freut, auf der Straße von mir angesprochen zu werden, wie es Inge getan hat. Für euch mögen es vielleicht nur 20 Minuten sein, die ihr aufbringt, um anderen, einen ganzen Tag zu verschönern.

*Namen geändert.

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