Eine Epidemie im Verborgenen. Warum Einsamkeit eine eigene Ministerin fordert und was man selbst dagegen tun kann.

Leben
Elena Muss / 16.09.2019
Mann, See, Berg

Tony Lip, der Hauptcharakter im vor Kurzem erschienenen und mit einem Oscar ausgezeichneten Drama „Greenbook“, meinte: „Die Welt ist voll von einsamen Menschen, die darauf warten, dass der andere etwas sagt.“ Wie wahr, dachte ich mir, als ich im Kino gesessen bin, neben mir meine Schwester. So wahr, dass der Satz bei mir hängen geblieben ist, er es in mein Tagebuch und jetzt sogar in den Youth Reporter Blog geschafft hat. Einsamkeit kann tödlich für uns Menschen sein. Wir brauchen die Nähe zu anderen wie unser täglich Brot, unseren Schlaf und unsere Luft zum Atmen. Und doch scheint Nähe noch nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zu zählen. Warum eigentlich nicht?

Der Name Tracey Crouch machte im Jahr 2018 Schlagzeilen, nachdem diese Frau Großbritanniens Ministerin für Einsamkeit wurde. Sie fühle sich geehrt, so die Ministerin, ein Problem angehen zu können, bei dem es sich um eine „generationenübergreifende Herausforderung“ handle, denn mehr als neun Millionen Brit*innen fühlen sich laut Umfragen häufig einsam. Die Hilfsorganisation Rotes Kreuz spricht sogar von einer „Epidemie im Verborgenen“. Ja, so tragisch ist das Problem der Einsamkeit. Sie führe zur Isolation und könne Menschen aller Altersstufen treffen, sogar die Lebenserwartung reduzieren, so die Hilfsorganisation. Crouch will nun auf die Rolle der Einsamkeit für Gesellschaft und Gesundheit aufmerksam machen. Sie ist nämlich sicher, dass dieses Phänomen nicht nur Großbritannien, sondern die ganze Welt betrifft. Noch-Premierministerin Theresa May, die Crouch zur Einsamkeitsministerin ernannte, ist überzeugt, dass Einsamkeit „für viel zu viele Menschen […] die traurige Realität des modernen Lebens“ ist[1]. Großbritannien hat also das Problem der Einsamkeit erkannt und in die Hand genommen. Die Frage ist nur: Wie kann eine Ministerin die Einsamkeit im Land senken? Wie können Einzelne von Tracey Crouch’s Engagement profitieren?

Das Problem mit dem krankmachenden Phänomen der Einsamkeit ist natürlich, dass es nicht messbar ist. Man hat Bauchschmerzen, also geht man zum Arzt, lässt sich untersuchen, bekommt danach handfeste Ergebnisse und womöglich Medikamente. Es wird festgestellt, woher die Schmerzen kommen, und mit der richtigen Behandlung können diese dann in den meisten Fällen vertrieben werden. So läuft das: Benennen, untersuchen, behandeln. Anders ist es mit Schmerzen psychischer Herkunft. Denn, was wenn die Bauchschmerzen nicht Resultat eines Infekts oder organischer Herkunft sind, sondern ganz einfach Konsequenz der Einsamkeit? In der Hausarztpraxis wird dies nur durch ein langes Gespräch mit dem Patienten/der Patientin herausgefunden werden, wofür in den meisten Fällen allerdings keine Zeit ist. Außerdem: Ab welchem Zeitpunkt macht Einsamkeit wirklich krank? Ab wann ist sie schädlich? Nicht messbar ist das Phänomen zudem, weil, wie das Rote Kreuz treffend ausdrückte, Einsamkeit eine Krankheit im Verborgenen ist. Krebserkrankungen in Österreich beispielsweise werden jährlich gezählt, und am Ende hat man eine ganz konkrete Zahl, die Auskunft über die derzeitigen Krebspatient*innen in Österreich gibt. Nicht so einfach ist das mit der Einsamkeit. Wie soll hier eine Messung vorgenommen werden, wie viele Menschen tatsächlich regelmäßig einsam sind? Natürlich sprechen wir hier nicht von gelegentlicher Einsamkeit, die uns alle einmal trifft. Nein, die Rede ist von durchgehender Einsamkeit, jene, die krank macht.

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Die genauen Auswirkungen von Einsamkeit auf die Gesundheit sind schwierig festzustellen. Der Psychiater Manfred Spitzer warnt in seinem Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit. Schmerzhaft, ansteckend, tödlich“ vor der Einsamkeit als Todesursache Nummer eins in westlichen Ländern. Die britische Studie von Julianne Holt-Lunstad und Timothy Smith der Brigham Young University besagt, Einsamkeit sei so ungesund wie der Konsum von mindestens 15 Zigaretten am Tag.[2] So schockierend es klingen mag, beide Theorien stimmen nicht mit dem aktuellen Forschungsstand überein und ändern wohl auch nichts an der Tatsache, dass Einsamkeit niemandem guttut.

Die Ausmalung solcher Horrorszenarien von krankhafter Einsamkeit hilft also niemandem, der wirklich einsam ist. Vielmehr müssen Menschen wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie häufig so empfinden. Im Fall Großbritannien soll die Einsamkeit im Land gesenkt werden, indem man öffentliche Einrichtungen, Unternehmen und Freiwillige in den Kampf gegen die Vereinzelung miteinbezieht. Wie kann aber ein/e einsame/r Österreicher*in den Weg aus der Isolation finden?

Es sich selbst eingestehen

Der erste Schritt aus der vermeintlichen Ausweglosigkeit muss jener des eigenen Eingeständnisses sein. Erst wer erkennt und auch dazu steht, einsam zu sein, kann versuchen, etwas gegen die Vereinzelung zu unternehmen.[3]

Aktiv werden

Man steht nun dazu, dass sich etwas ändern muss? Gut, dann ist es jetzt an der Zeit, aktiv zu werden. Herauszufiltern, wann man sich am häufigsten einsam fühlt, warum und was genau einem fehlt, ist dazu unerlässlich. Manfred Beutel vom Universitätsklinikum Mainz ist außerdem überzeugt, dass zum aktiv werden der Zugang auf Menschen unbedingt notwendig ist. Nur wer den Mut aufbringt und offen für neue Kontakte ist, kann der Einsamkeit den Kampf ansagen.[4]

Gemeinschaft suchen und pflegen

In der Gemeinschaft hat der Mensch weniger Gelegenheit dazu, sich einsam zu fühlen. Also raus aus dem Kämmerlein und ab unter die Menschen! Da ist aber niemand, den man anrufen könnte? Warum nicht einmal den neuen Lauftreff im Ort oder die Yoga-Gruppe in der Stadt ausprobieren? Wo sich Gleichgesinnte treffen, entstehen schneller neue Freundschaften![5]

Raus aus der Komfortzone!

Und noch einmal: Mit einer großen Portion Mut und Bereitschaft zur Überwindung, auf bekannte oder auch unbekannte Menschen zuzugehen, kann viel erreicht werden. Wer nicht mehr einsam sein möchte, muss bereit sein, einen Schritt aus der Komfortzone zu wagen. In vielen Fällen lohnt es sich.

Nun, das ist alles leichter gesagt, als getan, ich weiß. Aber wie Tony Lip zu sagen pflegte: „Die Welt ist voll von einsamen Menschen, die darauf warten, dass der andere etwas sagt.“ Also warte nicht darauf, dass dein Gegenüber dich anspricht. Sei mutig und sprich‘ das erste Wort! Denn mit ziemlicher Sicherheit ist der/die Andere erleichtert, dass du ihm/ihr die Entscheidung abgenommen hast, ob er/sie dich nun ansprechen soll oder nicht.

Meine Quellen und zum Genauer Nachlesen:

Goettinger Tagesblatt: Die Entdeckung der Einsamkeit

Zeit Online: Großbritannien bekommt Ministerin für Einsamkeit.

Spiegel Online: Sechs Mittel gegen Einsamkeit. 

 
  • [3] Goettinger Tagesblatt: Die Entdeckung der Einsamkeit. Link oben

 

  • [4] Goettinger Tagesblatt: Die Entdeckung der Einsamkeit. Link oben

 

  • [5] Goettinger Tagesblatt: Die Entdeckung der Einsamkeit. Link oben

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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