Femizide in Österreich: Man(n) tötet nicht aus Liebe

Engagement
Anna-Maria Hirschhuber / 08.07.2021
Portraitfoto von Jasmin Chalendi

2021 gab es in Österreich bis Juli 15 Femizide, die meistens von den (Ex)-Partnern der Opfer verübt wurden. Das letzte Opfer war ein 13-jähriges Mädchen, wobei die Ermittlungen noch laufen. Ich durfte mit der Aktivistin Jasmin Chalendi über ihre eigenen Erfahrungen in einer gewaltvollen Beziehung und auch ihr aktivistisches Engagement sprechen.

„15 Frauen wurden in Österreich allein im Jahr 2021 getötet“ - eine Schlagzeile nach der anderen jagt ihr hinterher. Schrecklich. Voller Angst, Trauer und auch Frust sitze ich in einem Café im 7. Wiener Gemeindebezirk und starre seit gefühlt einer halben Stunde auf meinen Bildschirm, aber die Worte wollen nicht kommen. Sie schreiben sich nicht Buchstabe für Buchstabe, rangieren sich in meinem Word-Dokument entlang einer Linie, wie es normalerweise geschieht. Sie bleiben aus und nur ein weißes, leeres Papier bleit zurück. Verloren und verdrossen starre ich auf meinen Computer und nippe an meinem Kaffee, bis die Kellnerin zu mir kommt: „Magst du dich da hinten hinsetzen? Da ist auch Schatten, ich versteh, wenn du dich beobachtet fühlst!“ Ich starre sie verwirrt an, versunken in meiner Unfähigkeit meine Gedanken in Worte umzuwandeln, muss ich wohl einen Gesichtsausdruck aufgelegt haben, als ob ich gleich heulen würde. Peinlich berührt von der ganzen Situation merke ich, wie mein Gesicht rot anläuft: „Nein, nein alles gut danke!“. Die Kellnerin runzelt die Stirn und zieht ab, weswegen ich überhaupt erst sehe, warum sie mir angeboten hat den Platz zu wechseln. Zwei Tische weiter sitzt ein mittelalter, weißer Mann mit schütterem Haar und einer riesigen Brille, durch die er mich wohl schon länger fixiert hat. Ich verziehe angewidert die Lippen und starre weiterhin auf meinen Computer. Tab, tab, tab, tab - Er steht vor mir „Ich hab dir noch einen Kaffee bestellt. Kann ich mich zu dir setzen?“, aber er wartete nicht auf meine Antwort. Er saß schon und ich kleines perplexes Dorfmädchen checkte gar nix mehr. Zusammen mit der Kellnerin verscheuchten wir ihn.

Die Einleitungsstory ist zwar weder krass noch gut, aber sie ist die Realität, in der uns Frauen beigebracht wird, dass Komplimente schmeichelhaft sind, aber gleichzeitig dürften wir in Discos nie offene Getränke von Fremden konsumieren, wir sollten immer jemanden anrufen, wenn wir alleine heimgehen und verstricken uns gefühlt immer wieder in die Diskussion, ob wir nun Komplimente wollen oder keine Beachtung. Debatten bei denen ich jedes Mal kotzen könnte. Es lebe die patriarchal indoktrinierte Doppelmoral.

Rund 18 Männer, wobei bei drei noch ermittelt wird, haben im Jahr 2021 15 Frauen ermordet. (Gewolltes Aktiv). In keinem EU-Land werden in der Regel mehr Frauen als Männer getötet. (derStandard.at, 6. Mai 2021) In Österreich ist das die traurige Wahrheit. Die meisten Täter (bewusst nicht gegendert) waren entweder Partner oder Ex-Partner der Opfer. Zu diesem Thema durfte ich mit Aktivistin Jasmin Chalendi sprechen, die selbst in einer Beziehung Gewalt erlebt hat.

Interview mit Aktivistin Jasmin Chalendi

Du bist eine Betroffene von sexualisierter Gewalt. Wie hat das alles bei dir begonnen und wie hat es sich gezeigt?

Ich bin kein Opfer von sexualisierter Gewalt, sondern hab in einer Beziehung Gewalt erlebt. Also mir ist nicht auf eine sexualisierte Art und Weise Gewalt zugefügt worden, sondern an anderen Körperstellen oder mit anderen Handlungen.

Das Gewaltpotential von meinem Ex-Partner hat sich immer mehr gesteigert. Also am Anfang beginnt die Gewalt mit Worten. Er hat mich mental fertig macht, mich klein geredet und ausgenutzt. Irgendwann ist er dann in Diskussionen auch immer lauter und bedrohlicher geworden. Hat sich immer öfters vor mir angsteinflößend aufgebaut. Und irgendwann ist der dann auch handgreiflich geworden.

Wann hast du wirklich realisiert, dass Gewalt gegen dich angewendet wird? Weißt du noch, was du zu diesem Zeitpunkt gefühlt hast?

Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mich das erste Mal im Bad eingesperrt hab, um mich in Sicherheit zu bringen. Ich hab mich damals umgedreht und selber im Spiegel gesehen. Gesehen, wie verängstigt ich gerade aussehe. In dem Moment ist mir erst klar geworden, was das gerade für eine Situation ist: Ich verstecke mich im Bad vor meinem Partner, damit er mir nicht weiter wehtut. Ich wusste sofort, dass das nicht richtig ist; dass hier gerade was Falsches passiert.

Wann war für dich der „Schlussstrich“? Wann hast du gemerkt, dass du jetzt gehen musst?

Ich hab öfters versucht, die Beziehung zu beenden, aber mein Ex-Partner hat es immer wieder geschafft, mich am Gehen zu hindern, indem er mir Schuldgefühle gemacht hat oder mir immer und immer wieder eingeredet hat, dass ich das Problem bin und nicht er. Ich hab also schon sehr lange gewusst, dass da was falsch läuft in der Beziehung.

Es war aber am Ende tatsächlich so eine kleine Sache, die bei mir das Fass überlaufen hat lassen: Ich war das ganze Wochenende auf einem Seminar und bin dort von ihm fast im fünf-Minuten-Takt angerufen worden – Er wollte wissen, was ich so mache und Aufmerksamkeit. Als ich am Sonntag dann wieder in Wien in unserer gemeinsamen Wohnung war, hab ich angerufen und gefragt, wann er eigentlich von der Arbeit komme. Er hat meine Anrufe mehrmals nicht entgegengenommen. Irgendwann dann schon und er hat mir gesagt, dass ich ihn nicht so nerven soll und dass er schon irgendwann heimkommt. Er ist bis am nächsten Tag nicht heimgekommen. Am nächsten Morgen hat er mich dann „restfett“ angerufen und gebettelt, dass ich ihn und unser Auto abholen kommen soll. What I did. Eine Stunde später saßen wir dann gemeinsam im Auto, nach einem Wochenende, wo er mich pausenlos tyrannisiert hat, einer Nacht, in der er nicht nach Hause gekommen ist und einem Morgen, an dem ich durch die halbe Stadt gefahren bin, um ihn zu holen und er hat die „audacity“ (Verwegenheit), folgenden Satz zu mir zu sagen: „Nein, du gehörst nicht zu meiner Familie.“  Dieser Satz hat mir den Rest gegeben und ich hab im Auto mit ihm Schluss gemacht, meine Sachen daheim gepackt und bin zu meiner Mama gezogen.

Du hast studiert und dich auch in der VSSTÖ (Verband sozialistischer Student_innen) engagiert, sprich ein eigenes erfolgreiches und auch anstrengendes Leben geführt. Hast du dich bezüglich deiner Beziehung an Freund*innen oder auch an Familie gewandt?

Ja, fix. Und sie alle haben versucht, mir zu helfen, aber ich konnte ihre Ratschläge oder Sorgen einfach nicht annehmen. Ich hab die Beziehung selber nicht so gesehen, wie sie war, obwohl ich ja miterlebt habe, was er mir dauernd antut. Aber wie schon gesagt er hat es immer geschafft, mich im richtigen Moment dann doch wieder so zu manipulieren, dass ich nicht gehe.

Wann konntest oder hast du überhaupt schon einen Schlussstrich gezogen nach dieser Erfahrung? Wenn ja, wie hast du das geschafft?

Der endgültige Schlussstrich war dann ein paar Monate nach unserer Trennung, als ich seine Familie erneut um Hilfe gebeten hab, weil mein Ex-Partner mich damals einfach nicht in Ruhe gelassen hat. Ich konnte den Schlussstrich nur ziehen, weil ich endlich realisiert hab, dass ich dieses Problem nicht alleine lösen kann und Hilfe von außen brauche. In dem Fall war das halt Hilfe durch seine Familie, die ihn mir vom Hals geschaffen hat.

Du bist ja eine Aktivistin und stark auf Instagram aktiv. Was sind deiner Meinung nach, die größten Herausforderungen und Gründe, warum in Österreich leider so viele Frauen aufgrund ihres Geschlechts sterben müssen?

Das größte Problem ist, dass wir eine Frauenministerin haben, die vollkommen respektlos gegenüber Opfern von Männergewalt ist. Sie meldet sich eigentlich nie zum Thema zu Wort, außer ein Mann ohne österreichische Staatsbürgerschaft ist der Täter. Das waren in dem Jahr zwei. Über die restlichen 13 Frauenmorde hat sie kein Wort verloren. Ihre einzige Lösung für Gewalt an Frauen im Land sind Abschiebungen von Geflüchteten – das ist inakzeptabel.

Welche Maßnahmen müssten die Politik und auch die Gesellschaft setzen?

Als allererstes braucht es mehr Geld für Kriseninterventionsstellen. Die sagen seit Jahren, dass sie hinten und vorne nicht mehr wissen, wie sie ihren Service anbieten sollen. Jedes Opfer, jeder Täter soll ausreichend im Land betreut werden können. Das geht gerade nicht. Und gleichzeitig braucht es Bildungsarbeit auf jeder Ebene. Erklären wir Buben im Kindergarten doch, was sie tun können, wenn sie traurig oder wütend sind, anstatt ihren Frust an anderen auszulassen. Bauen wir möglichst früh das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit von Mädchen auf. Je früher wir ansetzen stereotypische Geschlechterrollen aufzuteilen, umso schneller können wir toxische, männliche Gewaltstrukturen später abgebaut wissen.

Was rätst du, als betroffene Person, all jenen Frauen, die leider von körperlicher oder psychischer Gewalt betroffen sind?

Geh. Ja, das wird wehtun, aber glaub mir, dass bleiben mehr wehtun wird. Scheu dabei nicht davor zurück, dir Hilfe zu holen. Ich hab’s auch nur mit Hilfe aus meiner gewalttätigen Beziehung geschafft.

„Du musst das nicht allein durchmachen. Und bitte vergiss am Ende des Tages nicht, dass du das nicht verdient hast.“

 

Links zu Jasmin Chalendi:

Weiterführende Links für Betroffene:

Am Jugendportal findest du hier unter Themen-Infos hilfreiche Links für Betroffene von (sexueller) Gewalt und eine Liste an Beratungsstellen.  

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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