Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt

Kultur & Events
Anna Lena Bramreiter / 03.04.2017
(c) Jeremy Yap

Nachmittag.

Die Sonne strahlt auf die noch blasse Winterhaut. Langsam beginnen sich die Wangen zu erwärmen, doch in der Sonne solltest du nicht bleiben, nicht wenn die Diagonale, das Filmfestival in Graz, stattfindet. Auf ins Kino, Tickets holen und schnell muss noch ein Platz ergattert werden, der sich nicht in der dritten oder vierten Reihe befindet. Mist! Nichts damit geworden.  Den Film „Die Mitte der Welt“ von Jakob M. Erwa muss ich wohl in der dritten Reihe ganz rechts außen genießen. Der Film verzaubert durch den sympathischen Phil, der mit dem Erwachsenwerden konfrontiert wird. Im Publikum wird während des Films geseufzt und gelacht. Noch mehr gelacht wird bei dem anschließenden Gespräch mit dem Regisseur. Dieser Mann versteht es, wie der Hauptprotagonist im Film, die Menschen um sich zu verzaubern. Mit einem Lächeln und einem Gefühl der Unbeschwertheit verlässt man den Raum. Leichtigkeit liegt in der Luft. Raus aus dem Kinosaal, zurück in die Annenstraße. Es ist noch hell, was einen sehr verstören kann, ist der Kinobesuch doch meist eine Abend- oder Nachtaktivität. Die Sonnenbrille muss wieder aufgesetzt werden beim Radfahren. Eine kurze Pause im Sonnenlicht, der Filmmarathon im Dunkeln geht abends weiter.

 

Abend.

Gleiche Location, anderer Film. „Irak/Syrien 1. Arbeitsfassung“, ein Dokumentarfilm also. Ich runzle die Stirn, unter diesem Titel kann ich mir nichts vorstellen. Ob die Doku gut wird? Ich bemerke nur, dass es bei diesem Film einen höheren Andrang gibt, als bei dem Film am Nachmittag. Erneut sprinte ich schnell zum Kinosaal 6. Wieder nur dritte Reihe, aber dieses Mal kann ich zumindest in der Mitte sitzen. „Entspannen und den Film genießen“ denke ich und packe als freche Festivalbesucherin meine mitgebrachten Snacks aus. Der Film beginnt, eine Stimme auf Arabisch beginnt zu sprechen. Die Leinwand bleibt schwarz, die tiefe Stimme lässt jedoch den Saal verstummen. Nun endlich, ein Bild in schlechter Qualität wird sichtbar. Die Chips bleiben mir bei den gezeigten Bildern schnell im Hals stecken. Was ich hier zu sehen bekomme? Die Hölle auf Erden. Sunniten und Schiiten schlagen sich in den Videos gegenseitig die Köpfe ein und bezeichnen sich untereinander als Abtrünnige, die vom wahren Glauben abgekommen sind. Stille im Publikum, niemand hat Lust auf Popcorn oder Nachos bis zum Filmende. Die beiden junge Regisseure, Matthias Krepp und Angelika Spangel, die im Laufe ihres Studiums mit der Arbeit zu diesem Film begonnen haben, treten an die Leinwand um dem Publikum Fragen zu beantworten. Doch wie soll man zu einem Konflikt Stellung nehmen, in dem nicht einmal die Bevölkerung weiß, was geschieht? Bald tritt Ernüchterung im Kinosaal ein. Das Gespräch wird beendet, mehr Negativität und Trostlosigkeit verträgt ein Abend wohl nicht. Raus aus dem Kinosaal, rein in die Annenstraße. Es ist Nacht geworden und trotzdem ist viel los auf den Straßen von Graz. Ich beobachte die Menschen und frage mich, ob sie den jahrzehntelangen Frieden in Österreich schätzen. Zugegebenermaßen vergesse ich selbst oft drauf, aber heute Abend nicht. Heute Abend schätze ich die lange Friedenszeit in Europa, von der Länder wie Irak und Syrien noch weit entfernt sind.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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