Hochwasser 2016, Simbach am Inn

Engagement
Lizanne Daniel / 13.06.2016
Gatschige Stiefel

Die Dunstglocke aus Verzweiflung und Betroffenheit dämpft jede Emotion, alles scheint in einer Schockstarre verharrt. Und obwohl sich Motorengeräusch und Stimmengewirr zu einem penetranten Lärmpegel hochschaukeln, scheint die Stadt zu schweigen.

Als ich mich sonntags, wenige Tage nach der Hochwasserkatastrophe, zusammen mit einer Freundin auf den Weg nach Simbach mache, durchkreuzen zweierlei Tatsachen das gewohnte Bild. Zum einen sind es die Gummistiefel an unseren Füßen (ihre etwas zu groß, meine etwas zu klein) und die Gartenhandschuhe an unseren Händen, zum anderen ist es die Ungewissheit darüber, was uns am anderen Ende der Innbrücke erwarten würde - unser Lachen einen Tick zu laut, unsere Gesten eine Spur zu schnell. Es scheint fast so, als versuche jede von uns diese greifbare Spannung durch betonte Fröhlichkeit zu kompensieren. Denn es ist ein eigenartiges Gefühl, das Ziel seines Weges zu kennen und doch nicht zu wissen, was einen erwartet.

Als wir am Ende unserer Straße um die Ecke biegen, ergreift uns binnen Sekunden der allgemeine Ausnahmezustand. Absperrungen hindern am Durchfahren, Wasserschläuche säumen den Weg. Aus vereinzelt undichten Stellen spritzen feine Strahlen. Ich spüre im Vorbeigehen die Tropfen auf meiner Haut - harmlos und sanft. Krampfhaft versuche ich, das Bild eines warmen Sommerregens mit jenem zu vereinen, das in den letzten Tagen die Medienberichte beherrschte. Überschwemmte Häuser, durchbrochene Straßen, versunkene Autos. Schwer vorstellbar, dass es sich dabei um dasselbe Element handelt.

Wir werden unmittelbar nach unserer Ankunft in die erste Seitenstraße geschickt. Bei jedem zerstörten Haus und bei jedem verwüsteten Garten, den wir passieren, zieht sich mein Magen ein wenig mehr zusammen. Das Gebäude am Ende der Straße weist nur noch wenige Merkmale seiner früheren Existenz als Imbiss auf. Auch hier zeugt knöcheltiefer Schlamm von Unmengen an Wasser. Auf die etwas schüchterne Frage, wie wir helfen könnten, wird uns eine Schubkarre in die Hände gedrückt. Erleichtert, endlich etwas zu tun zu haben, beginnen wir, die herumliegenden Trümmer einzusammeln. Der penetrante Geruch nach verdorbenen Lebensmitteln und Benzin zwingt zu einer möglichst flachen Atmung.

Ich kämpfe noch immer mit der Realisierung der Situation. Mein Gehirn weigert sich, die Dinge, die wir aus dem Schlamm ziehen, als Kerze, Wassermelone und Besen zu identifizieren. Bestandteile eines gewöhnlichen Haushalts, Dinge des täglichen Lebens. Dinge, die in einem Haufen Schlamm nichts zu suchen haben. Der Geruch ist beißend, die Schubkarre hat Schlagseite, und die drückende Schwüle scheint jede Bewegung um einige Millisekunden zu verzögern.

Nach einer Weile werden wir weitergeschickt – im Stadtinneren benötige man dringend die Hilfe Freiwilliger.

Ein Großhandel für Matratzen. Wir steigen durch das zerbrochene Fenster ins Innere und reihen uns in der Kette aus HelferInnen ein. Gegenstände werden weitergereicht, kontinuierlich, automatisch. Die ausgelegten Bretter sind rutschig, und wir müssen aufpassen, nicht daneben zu steigen. Der Schlamm frisst sich durch die Räume, saugt sich an den Wänden fest wie aggressives Ungeziefer. Knapp unter der Decke hebt sich eine dünne braune Linie ab, die der Wasserspiegel gezogen hat. Und obwohl das Wort „Zerstörung“ von den Wänden zu hallen scheint und die bedrückende Atmosphäre keinen Augenblick am Ernst der Lage zweifeln lässt, verbirgt sich doch etwas Positives unter dieser angespannten Oberfläche. Es ist der Zusammenhalt. Hunderte Menschen, die alle aus derselben Intention handeln. Ein gemeinsames Ziel. Es wird niemandem das Gefühlt gegeben, in dieser Situation allein zu sein.

Der Bagger kommt – Mittagspause. Meine Freundin und ich machen uns auf den Heimweg. Wir sind beide erschöpft, weniger von der körperlichen Arbeit als viel mehr von der immerwährenden Ergriffenheit, die sich wie Nebelschwaden durch die Straßen zieht.

An diesem Tag wurde mir vieles bewusst.

Wir bauen Verkehrsmittel, die tausende von Kilometern zu wenigen Stunden komprimieren, wir konstruieren Waffen, die uns zu den gefährlichsten Lebewesen der Welt machen, und wir entwickeln Konzepte, die selbst die Unerreichbarkeit des Universums ins Erreichbare rücken. Berauscht davon, durch Technik, Wissenschaft und Forschung das Unmögliche möglich zu machen, vergessen wir, dass all dem Grenzen gesetzt sind. Dass die Fähigkeiten des Menschen endlich sind. Keinem Mathematikgenie der Welt wird es gelingen, eine Naturkatastrophe gleich null zu setzen. Wir können sie mit keiner Waffe eliminieren, können sie nicht ins Exil verbannen. Wir sind machtlos. Klein und machtlos.

Wieder und wieder projiziert mein Unterbewusstsein Bilder der vergangenen Stunden an meine innere Leinwand. Ich weiß, das heute Erlebte war für mich eine Grenzerfahrung. Und mir bleibt nur der Hauch einer Ahnung, wie es ist, nicht das Haus eines fremden Menschen auszuschaufeln, sondern das eigene.

 

Simbach ist nach wie vor auf freiwillige HelferInnen angewiesen. Nähere Informationen findet ihr unter

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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