Insekten schmecken? Die Fleischalternative

Leben
Johanna Daser / 14.10.2019
Mehlwürmer Pfanne

Tausend konvex gekrümmte Polygone, vereint in zwei glänzend, schwarzen Halbkugeln. Zwischen ihnen ein Paar zerbrechlicher, in Farbe und Struktur hauchdünnen Ästchen ähnelnder Gebilde empor schauend. Links und rechts in hundert Farben schimmernde Flächen, durchwoben von filigranen Linien. Darunter wieder Ästchen - gespickt mit messerscharfen Zacken und feinen Härchen. Auge und Bein. Fühler und Flügel. Chitin und Protein. Nahrung.

Die Bilder von frittierten Taranteln, Heuschrecken am Spieß und gegrillten Skorpionen, gepaart mit dem Duft von Knoblauch, Salz und Fett, dem Flair fernen Länder. Insekten essen? Irgendwo in Asien, in weit von unseren Herden entfernten Kulturen. Exotisch, fremd. In der eigenen Küche? Bloß nicht. Rund 2 Milliarden Menschen weltweit ernähren sich entomophag. Dennoch, neben Neugier und Aufgeschlossenheit stößt die unkonventionelle Nährstoffquelle mehrheitlich auf Ablehnung und Unverständnis. In seiner Abstraktion kaum antastbar schwebt der Gedanke, das zu verspeisen, was sonst angeekelt weggeschnipst oder zertreten wird in unseren Köpfen herum. Irgendwo zwischen bedrohlich emporragenden Stacheln, achtäugigen Bestien und sich in verfaultem Fleisch windenden Maden. Ein Gedanke, jenes außer Acht lassend, was die Tierchen auf unseren Tellern eigentlich sind – eine Bereicherung. Denn es spricht viel für die Eingliederung ihre in den Speiseplan.

Geschmacklich im Nussspektrum einordbar, bringen die kleinen Eiweißquellen zahlreiche Varianten der Zubereitung. Auf Tellern drapieren lassen sie sich gewürzt oder pur, einzeln, frisch, gebraten, frittiert, gebacken. Als Snack für zwischendurch, Salatbeilage, Burgerpatty oder auch verarbeitet zu Mehl, als Beilage oder Hauptgericht. Zu Nutze machen sich diese Vielfalt bereits bekannte Küchen von experimentierwütigen Restaurants, wie zum Beispiel die Kette „Le Burger“, die kürzlich den „Bug-Burger“ in das Rezept-Repertoire aufgenommen hat oder der Schokoladenhersteller „Zotter“.

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Aber auch außerkulinarische Faktoren sprechen für die Inkludierung von Insekten in unsere Esskultur. Egal ob Mehlwurm oder Heuschrecke, springend oder kriechend, 1.900 verschiedene Arten an alternativen, essbaren Quellen für Aminosäuren und Proteine krabbeln auf unserem Planeten. Ohne Tücken bergende Antibiotika, ohne Gentechnik, ohne den Zusatz von Hormonen, wie sie in der Fleischproduktion und Landwirtschaft selbstverständlich eingesetzt werden. Neben Reichtum an Vitamin B12 und D, ist der Anteil an Nährstoffen wie Magnesium, Zink und Calcium im Vergleich zu jenem von Viehfleisch höher. Der als essbare Nahrungsmittel verwertbare Prozentsatz des Körpers liegt bei circa 90%, bei einem Rind bei rund 50%*. Beträchtlich ist auch der Unterschied in der entstehenden Treibhausgasbelastung. Bei der Aufzucht von Insekten wird sowohl für die Haltung, als auch die Produktion von Futtermitteln weitaus weniger Fläche benötigt. Eine sich in Boxen befindliche „Farm“ von 60 cm Höhe, die theoretisch in jeder Küche Platz findet, anstatt riesiger Felder und Schadstoffbelastung fördernden Zuchtbetrieben.  

Hartnäckige Phobien und Ekel lassen sich durch Fakten natürlich nicht immer gänzlich vertreiben. Nicht außer Acht zu lassen ist jedoch, dass der Mensch auch andere Tiere verspeist - und zwar solche, die ihm um ein Vielfaches ähnlicher sind als Insekten - Säugetiere. Womöglich liegen die Wurzeln der Abneigung hier tief in einem anderen, in der Gesellschaft und jedem Lebewesen verankerten Instinkt –  Skepsis oder gar Furcht vor dem Unbekannten. Im Falle des Verzehrs von Exoskeletten aus Chitin veräußert durch ausgeprägte Zurückhaltung dem gegenüber, was „man“ nicht tut, was „wir“ nicht tun, noch nie getan haben – was „man“ bei uns eben nicht isst. Zurückhaltung gegenüber Abweichungen von der altbekannten Fährte. Aber diese sind notwendig, auch in noch so unbedeutend scheinenden Lebensbereichen, um zu entdecken und zu entwickeln, gerade in Zeiten des Kampfes gegen die Zeit in der Klimakrise. Also wieso nicht überwinden und etwas Neuem die Chance geben, sich unter Beweis zu stellen und als Anwärter für eine uns allen und auch dem Planeten nützende Norm zu kandidieren? Denn - der Mehlwurm ist grüner als die Weide.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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