#januhairy - Erfahrungsbericht eines Prozesses

Engagement
Theresa Rauch / 30.01.2019
Mädchen das die Arme in die Luft streckt und man sieht ihre Achselbehaarung

2018 hat sich frauenrechtlich einiges getan. Irland schaffte im Mai letzten Jahres über ein landesweites Referendum das Totalverbot von Schwangerschaftsabbrüchen ab. Frauen in Saudi-Arabien haben seit Juni das Recht, Auto zu fahren. In Spanien regiert nun erstmals ein mehrheitlich weibliches Kabinett. Die #MeToo-Debatte erschüttert die Unterhaltungsindustrie in ihren Grundsätzen, breitet sich lauffeuerartig aus und schafft ein nie dagewesenes Bewusstsein für das Ausmaß sexueller Belästigung und Übergriffe im Alltag und Berufsleben zahlloser Frauen. All das sind weltpolitische Meilensteine, die das vergangene Jahr auf politischer, sowie privater Ebene geprägt haben.

Jetzt haben wir ein noch bedeutungsträchtiges neues Jahr, einen anhaltenden Aufwind in „female empowerment“ (siehe beispielsweise das Ergebnis der US-amerikanischen Kongresswahlen), einen Monat, der sich als kompatibel für Wortspiele erweist und einen „catchy-as-fuck“ Hashtag, der - ENDLICH - Steine ins Rollen und weibliche Körperhaare zum Sprießen bringt: es ist #JANUHAIRY.

Auf Initiative der britischen Schauspielstudentin Laura Jackson rollt die Ermutigung von Frauen*, sich nicht zu rasieren durchs Internet - und sie soll euch alle mitreißen. Die 21-jährige Britin hatte in erster Linie aufgrund eines Theaterprojektes aufs Rasieren verzichtet. Diese Erfahrung wälzte letztendlich jedoch in etwas Größeres, Politisches und vor allem Emanzipierendes um.

Die Ausweisung des Einwegrasierers

Seit bald zwei Jahren habe ich meine Beine nicht mehr rasiert. Seit einigen Monaten auch die Achseln nicht. Mein persönlicher Anstoß dafür lässt sich in Emer O'Toole's „Girls will be girls“ finden. (Ein fantastisches Buch, für alle und jede*n.) Neben einleuchtenden Theorien und Beobachtungen zum Konstrukt 'Geschlecht' und zum 'Männlein-und-Weiblein'-Rollenspiel, das es mit sich schleppt, legt O'Toole in ihrem Werk auch Zeugnis davon ab, was sie von den Jahren, in denen sie ihre Körperhaare wachsen ließ erlebt hatte und mitnahm.

Fasziniert und gefesselt von den Gedanken und Erfahrungen der irischen Autorin beschloss ich letztendlich auch meinen Rasierer aus dem Badezimmer zu verbannen. (Merke: eine symbolische Wortwahl. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich erstens, „lediglich“ mit dem Rasieren meiner Beine aufgehört und zweitens höllische Paranoia vor diesem Selbstexperiment und behielt sämtliche Rasierer selbstverständlich auf - nur für den Notfall.)

Mit den ersten sichtbaren Stoppeln begann also der Prozess meines Januhairy. Mittlerweile weiß ich, dass eben jener Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist. Ich befinde mich nach wie vor mittendrin. Seit ich 12 war, hatte man mich nur mehr mit glatt rasierten Beinen angetroffen - und niemand hat das jemals in Frage gestellt. Es wurde zu einer Selbstverständlichkeit innerhalb sowie außerhalb meiner Altersgenossinnen und -genossen. So kam es dann, dass sich meine langsam aber sicher gedeihenden Beinhaare anfühlten, wie ein in grellen Farben blinkendes Neonschild, das ich um meinen Hals trug und auf dem sowas wie "MIT MIR STIMMT WAS NICHT" zu lesen war. Mit dem allgegenwärtigen Unwohlsein und der Unsicherheit kam das Bedürfnis, meine Absichten mit diesem „Experiment“ - wie ich es nannte - zu erklären, ja, zu rechtfertigen. In gewisser Weise fühlte es sich an, als würde meine nichtkonforme Beinbehaarung andere belästigen, sie nahezu beleidigen.

So ging kein Tag in kurzen Hosen vorüber, ohne dass mir eine Art Entschuldigung über die Lippen kam. Auch, oder vielleicht vor allem wenn niemand danach gefragt hatte. Jeder Blick, egal ob lediglich vorbeischweifend oder durchbohrend, schien mir auf der Haut zu brennen. Dieser selbstauferlegte Erklärungsbedarf begleitete mich für eine wahnsinnig lange Zeit, wurde letztendlich jedoch durch eine kuriose Mischung aus Trotz, Stolz und Unsicherheit ersetzt.

Immer wieder gelang ich an Grenzen, die ich dachte zu besitzen: Ging mit kurzer Hose aus dem Haus. Zunächst befremdlich aber geschafft. Entschied mich dazu, anstatt meiner kaschierenden Anzughose ein knielanges Kleid zu meiner Maturafeier zu tragen. Überraschend schwer überwindbar aber dennoch… überwindbar. Der Thermenausflug. Geprägt von Paranoia, über die ich im Nachhinein herzhaft lachen kann.

Jede dieser Empfindungen, bei der sich meine Komfortzone weiter ausdehnen musste, brachte denselben wiederkehrenden Gedanken mit sich: So. Aber jetzt fühl ich mich wohl in meiner Haut. Jetzt bin ich dort angekommen. Während das eine äußerst bestärkende Selbstwahrnehmung ist, täuschte sie mir vor, mein “Selbstexperiment” sei damit vorüber.  Bei der Idee von #januhairy handelt es sich aber um einen kontinuierlichen Prozess. Und noch ist kein Ende in Sicht.

Representation is everything

Den Akt, den weiblichen Körper - unabhängig davon ob eigen oder fremd - als unrein, ekelerregend und permanent verbesserungswürdig (!) zu denunzieren wird Frauen* sowie Männern* über Jahre indoktriniert. Sich aktiv gegen ihn zu stellen kann demzufolge nicht innerhalb weniger Wochen, innerhalb weniger Erlebnisse geschehen. Jedes Medium, mit dem man sich auseinandersetzt repräsentiert ein- und dasselbe weibliche äußerliche Erscheinungsbild, das durch Idealisierung zur gesellschaftlich anerkannten Norm heranwächst. Diese absolut einseitige Charakterisierung femininen Aussehens lässt wenig Platz für Nuancen, für Abweichungen, für uns. Uns diesen gestohlenen Platz in Medien, in der Öffentlichkeit und im Schlafzimmer zurückzuholen und unsere Körper in ihrer Vielfalt zu entmarginalisieren ist die kollektive Bestrebung, die dieser Jänner mit sich bringt.

Das Konstrukt Weiblichkeit, insbesondere im Zusammenhang mit Natürlichkeit, ist dermaßen engstirnig und toxisch geprägt. Es ist Zeit, diese „Gegebenheiten“ herauszufordern. Und während das bedeutet auch das gesamtgesellschaftliche Verständnis dieser Begriffe auszuweiten, beginnt es mit unserer eigenen Wahrnehmung von Feminität, was sie uns bedeutet und woraus wir sie beziehen.

Die Teilnahme am #januhairy und - noch viel mehr - darüber hinaus ermöglicht Frauen* zu entdecken, auszureizen was sich richtig, natürlich und im womöglich unkonventionellen Sinne schön anfühlt. So schwierig dieser konstante Schritt aus der eigenen, patriarchal bedingten Komfortzone auch sein mag, mit den Körperhaaren wachsen auch Selbstvertrauen, Persönlichkeit und das Bewusstsein für Selbstbestimmung.

Let it grow!

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 23.04.2024 bearbeitet.

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