Land der Berge und Hatikva: Botschaftsempfang

Youth Reporter in Israel
Julia Wendy / 21.11.2017
Störer: 
Youth Reporter-Team beim Botschaftsempfang

Der Abend beginnt mit kollektivem Jammern über die hohen Schuhe. Diese haben aber einen guten Grund, denn für einen Botschaftsempfang kann man sich ja einmal ein bisschen herausputzen. So machen wir uns geschminkt und gestylt auf den Weg vom Hostel zum Hotel, wo uns das Taxi abholen soll. Fünf Jugendliche, die mit schönen Kleidern bzw. weißem Jumpsuit bzw. Anzug und Fliege durch Tel Aviv laufen, oder besser vorsichtig dahinstöckeln. Wir ziehen einige verwunderte Blicke auf uns.

Pseudoamerikanische Pools, neue Bekanntschaften und Hymnenchöre

„Falls das mit dem Journalismus nicht klappt, werd ich Botschafterin“, schießt es mir durch den Kopf, als wir das Anwesen des österreichischen Botschafters betreten, denn zu einer solchen Villa würde ich nicht nein sagen. Wir werden freundlich auf Deutsch begrüßt und bahnen uns an Palmen und vielen Menschen vorbei den Weg zur Veranda. Das Ambiente erinnert mich ein bisschen an diese Partys in amerikanischen Fernsehfilmen. Die, an deren Ende immer jemand mehr oder weniger unabsichtlich im Pool landet. Hier kann das aber nicht so schnell passieren, stelle ich bei einer näheren Inspektion des Pools fest, denn es ist von einer Absperrung aus Glas umgeben. Im Boden sind etliche Scheinwerfer eingelassen, welche die Umgebung in mystisches Licht tauchen. Im Laufe des Abends verfluche ich diese allerdings noch, weil sie es so gut wie unmöglich machen ohne Gegenlicht zu fotografieren oder zu filmen.

Hinter Ursula kämpfen wir uns durch die Menschenmenge, man hört eine interessante Mischung aus Hebräisch, Englisch und Deutsch. Ganz plötzlich steht Zsuzsi Schindler vor uns, die wir am Schabbat im Kibbutz besuchen werden. Obwohl wir uns erst gerade in dem Moment kennenlernen, begrüßt sie uns wie alte FreundInnen. Sogleich werden wir auch Johannes Strasser vorgestellt, dem Direktor des österreichischen Kulturforums Tel Aviv.

Gerade als wir vor den Flaggen Fotos machen – es sind nebeneinander die österreichische, die israelische und die Flagge der EU gehisst - beginnt der offizielle Teil. Der österreichische Botschafter Martin Weiss eröffnet diesen mit einer inspirierenden Rede über die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern und heißt alle herzlich willkommen. Danach ergreift Gilad Erdan, der israelische Minister für öffentliche Sicherheit, strategische Angelegenheiten und Information das Wort. Auch er lobt die gute Zusammenarbeit mit Österreich. Bevor die beiden mit einem „Le Chaim – hebräisch für Prost - anstoßen, werden die Hymnen der beiden Länder gespielt.

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Der österreichische Botschafter Martin Weiss bei seiner Rede

Land der Berge, Land am Strome,…die Aufnahme ist zwar instrumental, dennoch laufen die Zeilen automatisch vor meinem inneren Auge ab. Der Moment fühlt sich wichtig an, offiziell. Nach kurzer Zeit lasse ich die Kamera sinken und die positiv spannungsgeladene Atmosphäre auf mich wirken. Die israelische Hymne, genannt Hatikva, die Hoffnung. Anders als unsere heimische nicht ganz so festlich, sondern melancholisch und getragen – unwillkürlich muss ich an die kurze, schwierige Geschichte des Landes denken. Diesmal wird eine Version mit Gesang abgespielt und sofort erschallt um mich herum die wehmütige und doch stolze Melodie im Chor. Ich verstehe kein Wort Hebräisch, trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen erfasst mich die Stimmung des Liedes schnell, und sie berührt mich fast mehr als unsere eigene Hymne.

Von den kulinarischen Vorzügen eines Botschaftsempfangs und unseren Interviewversuchen

Wir machen uns auf den Weg zur Bar, um den Anlass entsprechend anzustoßen und stellen fest, dass man sich am besten vor der Küche platziert, wenn man möglichst viele Essenshäppchen probieren will, die von den KellnerInnen unaufhörlich ausgeteilt werden. Typisch österreichisch stehen Schnitzel und Linzertorte zur Auswahl, die Mini-Burger sind nicht ganz so traditionell, aber trotzdem gut.

Um nicht den Eindruck zu erzeugen, wir hätten nichts gearbeitet, mischen wir uns aber bald mit Kamera bewaffnet unter die Leute. Das Ziel: Herausfinden wer warum hier ist und was man von Österreich hält. Das gestaltet sich als nicht ganz so einfach, wir suchen uns anscheinend genau die paar Leute aus, die unter mysteriösen Umständen oder mehr oder weniger zufällig auf dem Botschaftsempfang gelandet sind (wie man das auch immer schaffen mag). Auch eine Sprachbarriere kann nicht überwunden werden, denn ich kann weder Französisch noch Hebräisch. Interessante Begegnungen gibt es aber trotzdem, man trifft ja nicht tagtäglich italienische Operndiven. Mit der Zeit landen wir aber doch einige Glückstreffer. Ein Holocausüberlebender erzählt von seiner Flucht nach Israel, dem Leben, dass er sich hier aufgebaut hat, sowie seinen Kindern und Enkelkindern. Der Zeitzeuge erwähnt, dass er im Mai 1938 maturierte, im März davor fand der Anschluss von Österreich an das NS-Regime statt. Zuerst sei gar nicht sicher gewesen, ob Juden die Matura überhaupt erlaubt werden würde. Selbst die Klasseneinteilung, erst nach Geschlechtern getrennt, sei noch im Abschlussjahr in jüdisch und arisch geändert worden. Die christlichen SchülerInnen, so unser Interviewpartner, hätten nach den bestandenen Prüfungen groß gefeiert, die Juden freuten sich eher still und leise. Nach dem Novemberpogrom und einem Jahr unter nationalsozialistischer Herrschaft sei die Ausreise nach Israel für ihn möglich geworden.

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Meine Gedanken schweifen kurz ab zu meiner eigenen Matura im vergangenen Juni. Wie viele schlaflose Nächte sie mich gekostet hat…und wie danach alle in unbändiger Feierlaune waren.. Eine Selbstverständlichkeit für uns, dass wir nach vier Jahren Oberstufe die Prüfungen ablegten. Darüber, dass das im Jahre 1938 nicht so selbstverständlich gewesen sein könnte, habe ich vorher noch nie nachgedacht.

In Folge bekommen wir langsam den Dreh raus, geeignete Interviewpersonen auszuwählen. Ein Achterlglas in der Hand erweist sich als bestes Auswahlkriterium. Später treffen wir noch Design-StudentInnen aus Salzburg, die für ein Studienprojekt nach Israel gereist sind. Genau wie wir, empfinden sie das Land und insbesondere die Leute in Tel Aviv als sehr offen und sympathisch.

Schlussendlich bitten wir frech und spontan den Botschafter Weiss höchstpersönlich vor die Kamera. Er erzählt uns freundlich und gern von seiner Arbeit und hat vor, die Beziehungen zwischen Österreich und Israel so gut fortzuführen wie bisher.

Gedanken an daheim: Klassik und Wein

Zsuzsi Schindler aus dem Kibbutz bietet sich dankenswerter Weise an, uns mit dem Auto zum Hostel zu bringen, damit wir nicht zwei Taxis rufen müssen. Ich finde mich also auf der Rücksitzbank ihres Autos wieder, worüber meine schmerzenden Füße sehr froh sind. Vorne diskutieren Sharon und Zsuzsi, ob die klassische Musik im Radio von Mozart oder Haydn stammt. Verifizieren lässt sich mangels W-Lan nichts von beidem. Wir reden Deutsch, die Melodien erinnern mich an zuhause und stehen im krassen Gegensatz zum Hebräisch des Radiomoderators, das darauffolgt. Draußen ziehen die beleuchteten Straßen Tel Avivs vorbei. Begeistert erklärt uns Zsuzsi woran wir gerade vorbeizischen, fix werden noch einmal die Kameras ausgepackt – zumindest jene die noch Akku haben. Wieder einmal bin ich froh in Israel nicht Autofahren zu müssen, denn Verkehrsregeln scheinen hier unverbindliche Empfehlungen zu sein.

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Neben vielen tollen Interviews hatten wir auch eine Menge Spaß

Im Zimmer machen wir uns daran, sämtliche Akkus aufzuladen und die Aufnahmen am Computer zu sichern. Dabei fallen uns nicht näher definierte Weißweinweisheiten ein, und die Idee, selbigen noch schnell zu beschaffen, wird geboren. In Österreich wäre diese wohl an den Öffnungszeiten der Geschäfte gescheitert, hier gibt es dieses Problem dank des 24h-Supermarkts am.pm. nicht. Unseren Wein bekommen wir trotzdem nicht, denn wir müssen erfahren, in Israel per Gesetz nach 23:00 Uhr kein Alkohol mehr verkauft hat. Somit entstehen doch keine weisen Artikel über Weißwein mehr.

Viel zu spät lege ich Handy und Laptop weg und versuche einzuschlafen. Von draußen dringt laute Discomusik durchs Fenster. Ich bin in Tel Aviv, der Partystadt. Dem New York Israels.

 

 

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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