„Studier‘ was Gscheids!“ oder „Ein hoch auf die Geisteswissenschaft!“

Wissen
Anna Lena Bramreiter / 19.07.2017
aufgeschlagenes Buch und Hände eines Studierenden die es halten

Wenn du willst, könntest du mit 21 Jahren einen Studienabschluss haben. Die Voraussetzungen dafür sind a) Matura in 4 Jahren b) kein Zivil- oder Bundesheerdienst c) die nötige Motivation in Mindeststudienzeit zu studieren.

Nun stehe ich da, 21 Jahre, bald fertig mit einem geisteswissenschaftlichen Studium.

In der Schule haben sie gesagt „Studier‘ was Gscheids!“. Das bedeutet für meine damaligen Lehrer*innen etwas Ähnliches wie Wirtschaft, Recht, Technik oder Medizin. Bis zum Inskribieren im Jahr 2015 wusste ich nicht einmal, dass man Deutsch bzw. Germanistik als „richtiges“ Studium wählen kann. Landei eben. Schlussendlich habe ich mich für „nix Gscheids“ inskribiert.

„Du studierst Germanistik, du wirst dann Taxifahrerin, oder?“

Haha lustig. DU bist der Erste, dem dieser tolle Witz einfällt.

„Ja, Taxiunternehmerin und das mit dem besten Slogan der Stadt. Habe ich im Studium gelernt!“

Wie viele andere Studierende der Geisteswissenschaft habe ich nicht vor Taxi zu fahren, bei McDonalds zu arbeiten oder bis ans Ende meiner Tage schriftliche Arbeiten von anderen zu korrigieren.

Ich habe dieses Studium gewählt, weil ich es liebe und hasse gleichzeitig. Hassen, weil ich weiß, dass ich nie so viel verdienen werde, wie Gleichaltrige mit einer anderen Studienwahl. Hassen, weil ich vielleicht nie einen Job finden werde, der genau das ist, was ich machen wollte. Lieben, weil ich schon mit 12 Jahren versucht habe, die Negativität von einem Thomas Bernhard in „Ein Kind“ zu verstehen (und den Text bestimmt nicht ansatzweise verstanden habe). Lieben, weil ich als Kind meine Wochenenden damit verbracht habe, in andere Welten einzutauchen um anschließend mir Fortsetzungen von diesen Büchern auszudenken.

Ich bin mir dessen bewusst, dass Geisteswissenschaftler*innen ein Produkt von Wohlstand in unserer Gesellschaft sind. Ohne die Leistung von Technik und Wirtschaft müssten wir vermutlich noch von der Landwirtschaft leben und während dem Zitieren von Wittgenstein Kartoffel klauben.

Aber an diejenigen, die glauben, dass Geisteswissenschaftler*innen nichts zur Gesellschaft beitragen, kann ich nur sagen: Das stimmt nicht einmal annähernd. Nicht einmal mit einer Lupe, also ganz nahe betrachtet, stimmt diese Aussage.

Natürlich erfinden wir keine neuen, technischen Geräte, die uns unser Leben wiederum leichter machen. Ist auch nicht das Ziel unseres Studiums. Wir beobachten, beschreiben, analysieren. Kurz: Wir arbeiten wissenschaftlich einerseits.

Andererseits schaffen wir die Welten, in die sich die meisten jungen Erwachsene flüchten. Serien und Filme „entstehen“ nicht einfach. Dahinter stecken meistens viele kreative und kluge Köpfe, die viel Arbeit leisten, damit wir 45 Minuten unterhalten werden und die Sorgen des Alltags vergessen. Diese kreativen Köpfe kommen aus allen Sparten und eben auch aus den Geisteswissenschaften.

Provokant gesagt: Eigentlich sind wir sehr wesentlich für die Gesellschaft. Vielleicht tragen wir nicht viel zum Wachstum des Wirtschaftsinlandproduktes bei, aber durch unsere Arbeit können wir viel im Hintergrund verändern. In Zeitungen oder im Fernsehen werden oft Geisteswissenschaftler*innen als Expert*innen herangezogen. Eine Rolle, die ich als sehr wichtig erachte, nachdem durch die Nutzung von neuen Medien jeder mehr oder weniger als selbsternannter Experte/Expertin fungieren kann. 

21 Jahre und bald fertig mit einem geisteswissenschaftlichem Studium. Ja, vielleicht werde ich Taxifahrerin. Aber ich ließ mich bei meiner Studienwahl nicht von ökonomischen Reizen leiten, sondern habe das Studium gewählt, das zu mir passt.

Was uns zu denken geben sollte: In den USA, Japan und China werden die geistes- und sozialwissenschaftliche Fakultäten an öffentlichen Unis immer mehr eingeschränkt. Öffentliche Unis unterliegen immer mehr dem Effizienzdenken und müssen überlegen, wie sie ihr vom Staat oder Bundesstaat erhaltenes Geld gut ein- und umsetzen können. Im Gegensatz dazu haben die renommierten Universitäten kein Problem mit Fächern wie Philosophie, Geschichte oder Archäologie. Ist die Geisteswissenschaft in der Zukunft das Studium der Elite? Oder doch, wie in meinem Fall, das Studium der zukünftigen Taxifahrer*innen?

 

 

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