Von Ufos, blutenden Fingern und der Musik als letzte Instanz

Kultur & Events
Lena Leibetseder / 22.09.2017
Nahaufnahme Hände beim Handpan spielen

Auf der Suche nach dem Ursprung dieses Ankers

Wenn man gerne gratis Kopfweh bekommen will, ist die Linzer Landstraße an Nachmittagen unter der Woche ein heißer Tipp für MasochistInnen. Das aussichtslose Unterfangen ohne gröbere Zusammenstöße den TouristInnen, BummlerInnen und ArbeiterInnen auf dem Heimweg auszuweichen wird durch die Geräuschkulisse, die eigentlich gratis Ohropax verlangt, zum Endgegner.

Kurz vor dem entnervten Schreikrampf auf dem Weg von der Mozartkreuzung bis zum Taubenmarkt, der bedingt durch Menschenmassen anstatt der üblichen drei Minuten schon zehn in Anspruch nimmt, bahnt sich plötzlich von rechts eine Melodie den Weg in mein Ohr und katapultiert mich ohne Vorwarnung in andere Welten, löst mich gleichzeitig sanft aus dem Alltag heraus.

Auf der Suche nach den Ursprüngen dieses Ankers, der mich so unverhofft aus den Tiefen der Landstraße herausgeholt hat, stoße ich auf einen Kreis Menschen, der sich um einen jungen Musiker gebildet hat. Auf dem Kopf eine alte Mütze, auf dem Schoß etwas das aussieht wie ein Ufo.

Marcel Hutter beim Handpan-Spielen auf der Wiese sitzend

Marcel Hutter macht schon sein ganzes Leben lang Musik. Er hat Schlagzeug gelernt, sich selbst Gitarre beigebracht und ist schließlich dem Wunsch folgend, Melodie und Percussion in einem Instrument zu verbinden, auf das Hang oder die Handpan gestoßen. Das Instrument besteht aus zwei zusammengeklebten Metallhalbkugeln, auf der sich acht Klangfelder befinden, die durch Fingeranschlag zum Schwingen gebracht werden. Wer jetzt aufgrund des Wortes Hang auf einen asiatischen Hintergrund des Instruments schließt, liegt zumindest zur Hälfte falsch. Die Handpan kommt nämlich aus der Schweiz, Hang ist im Schweizerdeutschen die Hand. Die aus Bern stammenden Hersteller des ersten Hang orientierten sich aber zum einen an der Steeldrum, zum anderen an der indischen Gatham.

„Es ist ein sehr junges Instrument, so etwa um die zwanzig Jahre. Mittlerweile gibt es aber hundertfünfzig bis zweihundert verschiedene HerstellerInnen. Handpan-SpielerInnen arbeiten oft mit den HerstellerInnen zusammen und sagen halt, kannst du das so und so machen, ich hätt da gern noch einen Halbton drinnen. Ich hab jetzt zum Beispiel die weltweit erste Handpan mit vierzehn Noten. Es sind auch schon welche gebaut worden, die oben und unten verschiedene Scales haben, die kann man dann umdrehen. Ich hab auch Handpans wo ich oben G-Dur hab und dann unten einen Ton, mit dem ich auf Moll switchen kann.“, erzählt Marcel, der mittlerweile mehrere Handpans besitzt und zu jedem einzelnen Instrument eine Geschichte erzählen kann.  

„Mein Hauptinstrument ist die erste richtig gute Handpan, die ich bekommen habe. Das war so, dass ich einem Hersteller in Amsterdam quasi einen Liebesbrief geschrieben habe, dass seine Instrumente so geil sind und so weiter, aber er hat nur zwei Sätze zurückgeschrieben - so ganz kurz „Na, jetzt ned“. So in der Art „Lass mich bitte in Ruhe.“ Zwei Wochen später hat er dann geschrieben, dass er sich ein paar Sachen von mir angehört hat und sich dazu entschieden hat, mir doch ein Instrument zu bauen. Wieder zwei Wochen später wars schon fertig und abholbereit. Normalerweise gibt es da Wartelisten, da wartet man schon zwei, drei Jahre. Dann hatte ich aber ein finanzielles Problem, denn das Instrument kostete zweitausend Euro und irgendwie hab ich mir ja auch die Reise nach Amsterdam bezahlen müssen. Dann hab ich gearbeitet wie ein Blöder, jede freie Minute auf der Straße verbracht, hab mir im Winter die Finger blutig gespielt, bis ich endlich genug Geld hatte, um mir meine Handpan in Amsterdam zu holen.“

Mittlerweile kann Marcel von seiner Musik leben. Er gibt Unterricht, veranstaltet Workshops, wird für Festivals in China, Frankreich und Israel gebucht. Einmal in der Woche spielt er noch auf der Straße, öfter erlauben es die Linzer Auflagen nicht. Es ist generell mühsamer geworden, StraßenmusikerIn zu sein. Um eine Berechtigung zum Musizieren zu bekommen, muss man auf dem Magistrat BeamtInnen vorspielen, die dann beurteilen, ob man gut genug ist, um auf die Straße zu gehen, und pro Spielen werden dreißig Euro verlangt. Dass ist im Vergleich zu 2016, wo es nur dreizehn Euro waren, eine mehr als hundertprozentige Steigerung.

Marcel Hutter beim Handpan-Spielen auf einem Baum sitzend

Straßenkunst ist ein weit gefasster Begriff und es wird auch von KünstlerInnen selbst befürwortet, zu differenzieren um nicht zuletzt die Qualität dieser Kunstsparte zu sichern. Denn so verschieden wie die Werdegänge und Lebensgeschichten der KünstlerInnen sind, so verschieden sind auch musikalisches Können und Fußgängerzonentauglichkeit. Und nicht immer ist der Weg zum Straßenmusikant ein romantischer Plan B um berühmt zu werden, sondern oft auch eine Flucht, wie Marcels Geschichte zeigt.

„Ich hab so eine depressive Phase gehabt, jede Woche vierzig Stunden arbeiten, komplett hin sein, das hat mich nimmer zaht, dann war ich eine Zeit lang im Krankenstand und hab mir Gedanken gemacht. Wie mach ich weiter – geh ich weiter arbeiten oder probier ich es einfach mit der Straßenmusik und schau wo es mich hinführt. Ich hab dann meinen Job und meine Wohnung gekündigt, hab mir einen Bus gekauft und bin erstmal durch Europa gefahren. Geschlafen hab ich entweder im Bus oder bei Freunden. Die Handpan-Community ist relativ klein, jeder kennt jeden und jeder hilft jedem, wir haben eine Facebook-Gruppe, da ist es einfach, Leute zu finden, bei denen man unterkommen kann. Wo ich grad war hab ich mich einfach hingesetzt und so lange gespielt, bis die Polizei gekommen ist. Wegrennen war dann eher schwierig – ich hab ja meistens bis zu vier Instrumente und meine CDs mit. Da wars dann notwendig, so sympathisch wie möglich rüberzukommen, um keine Probleme zu bekommen. Heute hab ich zwar in Linz ein Zimmer, der Bus, mittlerweile schon ein alter Herr, existiert aber immer noch. Ich kann es mir absolut nicht mehr vorstellen, in mein altes Arbeitsleben zurückzukehren.“

Portrait von Marcel Hutter beim Handpan-Spielen

Seine Songs hat er nirgends aufgeschrieben, er spielt alles auswendig und hat alles im Kopf. „Ich hab nie irgendwas mit Noten gelernt, ich mach das einfach. Das spürt man.“

Generell geht es bei seiner Musik viel mehr um Gefühl als um konkrete Dinge. „Ich sehe es als meinen Job, mit den Leuten eine Verbindung herzustellen, die sind in ihrer Arbeitswelt drinnen, sind gestresst, ich versuche sie da herauszureißen. Mittlerweile bin ich auf der Straße extrem routiniert, ich weiß genau, was ich spielen muss, damit die Leute stehen bleiben. Ich versuche, sie zum Tanzen zu bringen. Du merkst es, wie sie zu strahlen anfangen, du merkst dass sie noch nicht ganz tot sind, wenn sie das noch spüren.“

 

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