Die vielen Facetten des Poetry-Slams

Kultur & Events
Sarah Emminger / 02.05.2019
Sarah Emminger Poetry Slam

Wie Lyrik die Neuzeit erobert

Eine Bühne. Das Mikro. Scheinwerferlicht. Und ich - oder zumindest jemand, der mir sehr ähnelt. 6 Minuten Zeit, um alles aus mir herauszulassen. All die Gedanken, all die Gefühle. In den Momenten, in denen ich da oben stehe, fühle ich mich stark und laut. Ich glaube, dass ich gehört werde. Das ist schön.

Spätestens seit Julia Engelmann ist der Begriff des Poetry-Slams vielen Leuten bekannt. Vor ein paar Jahren geht ein Video der Dichterin während eines Auftrittes durch das Internet und wird tausendfach geteilt. Die Menschen sind neugierig, das Interesse an der Lyrik boomt auf einmal. Gedichte sind jetzt plötzlich wieder cool und das, obwohl einige Menschen negative Erinnerungen an das Auswendiglernen dieser aus der Schulzeit haben. Bei Poetry-Slams geht es darum, selbstgeschriebene Texte möglichst authentisch vor Publikum zu interpretieren. Die Zuschauer/innen bewerten die Poeten/innen nach ihren Performances und am Ende wird jemand zum/r Gewinner/in gekürt.

Ursprünglich kommt das Poetry-Slam aus Chicago, dann über Deutschland nach Österreich. Mittlerweile gibt es schon in jeder etwas größeren Stadt solche Veranstaltungen, für jüngere Teilnehmer/innen auch U20-Slams. Es scheint ganz so, als gäbe es eine Art Slam-Netzwerk im ganzen Land, die Poeten/innen kennen sich größtenteils untereinander, sie nennen sich oft ‚Slamily‘. Auch als Newcomerin in der Slam-Szene habe ich mich ab meinem ersten Auftritt dort willkommen gefühlt. Natürlich ist für jede/n der Wettbewerb unterschiedlich wichtig, aber grundsätzlich ist er nicht das Wesentliche. Er ist eigentlich mehr ein Trick, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu behalten und den Abend noch spannender zu machen.

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Für mich ist Poetry-Slam eine Art des Ausdrucks, die im Inhaltlichen keine Grenzen kennt. In den Texten geht es um verschiedenste Themen – von Politik bis zum ganz Persönlichen. Die Slammer/innen sind oft sehr gesellschaftskritisch und hinterfragen Normen, die teilweise einfach so angenommen werden, obwohl sie vielleicht gar nicht okay sind. Poetry-Slam-Abende verbinde ich zum einen mit schönen Texten und Ästhetik, zum anderen mit viel Ehrlichkeit und dem Mut, auch „Hässliches“ darzustellen, weil es eben nicht nur Schönes gibt.

Slammer/innen sind „ganz normale“ Leute. Sie entsprechen oft weder den vorgegebenen Schönheitsidealen, noch haben sie eine Millionen Instagram-Abonnent/innen oder besonders viel Geld. Für viele ist die Lyrik nur ein Hobby. Die Tatsache, dass sie aus dem normalen Leben kommen, wirkt positiv auf das Publikum. Es kann sich mit den Teilnehmer/innen identifizieren und fiebert so auch mehr mit als mit einer berühmten Pop-Sängerin, die den bereits zwanzigsten Emmy abräumt. Slammer/innen sind nahbar und wahr, ihre Gefühle nachvollziehbar. Es herrscht eine gewisse „Ebenengleichheit“. Das gefällt den Zuschauer/innen.

Ich kann mich noch gut an meinen ersten Poetry-Slam als Teilnehmerin erinnern, er ist ja gar nicht lange her. Deshalb weiß ich auch, dass ich irrsinnig nervös und aufgeregt war. Umso mehr überraschte mich die Freiheit, die ich auf der Bühne verspürte. Ich hatte eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass die Lyrik nur für Einzelne geschaffen sei. Dass ein Einzelner sie schreiben und ein Einzelner sie lesen würde. Dass für eine Gemeinschaft da einfach kein Platz sei. Aber Poetry-Slam hat mir das Gegenteil bewiesen. Diese 6 Minuten, in denen man alles in die Performance hineinlegt, in denen alle Augen im Saal auf den eigenen Lippen hängen, in denen man hin und wieder vielleicht auch ein Fingerschnippen vernimmt (klatschen ist währenddessen nicht erlaubt). Diese 6 Minuten sind es, für die man das Lampenfieber in Kauf nimmt. Denn Lyrik bedeutet nicht automatisch, im stillen Kämmerlein vor sich hinzudichten. Lyrik kann begeistern und berühren, und die ganze Welt kann dein Publikum sein, wenn du das möchtest.

 

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