Globale Impfungerechtigkeit: Was uns die Corona-Impfung lehren sollte

Politik
Berit Neumayr / 03.02.2021
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Die Corona-Impfung und globale Ungerechtigkeit

ImpfdränglerInnen, ImpfgegnerInnen, Impfstoffzulassung – fast kein Gespräch vergeht momentan ohne eine Erwähnung der Corona-Impfungen. Doch bei all den verschiedenen Meinungen dazu, bei Verunsicherung oder Vorfreude wird eine zentrale Problematik vernachlässigt: globale (Impf-) Ungerechtigkeit.

Impfstoffbeschaffung

Die Impfstoffbeschaffung der EU steht stark unter Kritik, der Impfplan in Österreich wurde schon mehrmals umgekrempelt und sowieso wird lautstark (und maskenlos) gegen das Impfen allgemein demonstriert. Aber jetzt gibt es Schutzimpfungen für Covid-19 – im März 2020 schien das noch ein ferner Wunschtraum.

Nun wird in Israel, Großbritannien, den USA, den Vereinigten Arabischen Emirate, Europa und einigen anderen wohlhabenden Ländern geimpft. Von armen Staaten hört man indessen wenig.

Es scheint zu einem politischen Statement geworden zu sein, wer welchen Impfstoff verwendet: In der EU sind seit 29. Jänner drei Vaccine zugelassen: Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca. Als einziger EU-Mitgliedsstaat hat Ungarn neben dem russischen Impstoff Sputnik V nun auch das chinesische Vakzin Sinopharm zugelassen, damit das Impfen der Bevölkerung schneller geht, sollen in Ungarn zukünftig alle Impfstoffe zugelassen werden, die öfters als eine Million Mal verimpft wurden.

Der Iran verbietet den Import von Impfstoffen aus den USA oder Großbritannien und möchte stattdessen mit Kuba einen eigenen entwickeln. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben den chinesischen Impfstoff Sinopharm als weltweit erstes Land schon im Dezember zugelassen, nun werden sogar „Impfreisen“ angeboten: Privatpersonen können nach Dubai oder Abu Dhabi reisen und sich dort im Kurzurlaub nebenbei den Impfstoff von Biontech-Pfizer verabreichen lassen, ein ähnliches Angebot gibt es auch für Indienreisende mit AstraZeneca.

Wer genug Geld hat, so scheint es, kann es sich richten – egal auf welcher Ebene. Aus wirtschaftlich schwachen Ländern hört man keine Impferfolge.

Fairness-Initiative der WHO

Es ist diese Diskrepanz, gegen die die WHO schon im Vorhinein vorgehen wollte. Um den internationalen Zugang zu COVID-19 Instrumenten zu fördern, wurde die globale Kampagne „Access to COVID-19 Tool Accelerator“ (kurz ACT-Accelerator) gegründet. ACT-Accelerator ist auf den drei Säulen Impfstoffe, Tests und Behandlung aufgebaut, die durch die zusätzliche Säule der Gesundheitssysteme verbunden werden – in diesen Bereichen werden Entwicklung, Herstellung und gerechte Verteilung gefördert und beschleunigt.

Für den Bereich der Impfstoffe ist beispielsweise die (ebenfalls neugegründete) Organisation COVAX zuständig. COVAX hat es sich zum Ziel gesetzt, 2 Milliarden Impfstoffdosen international fair zu verteilen, außerdem sollen 20 % der Bevölkerung der beteiligten Länder mit durch COVAX beschafften Impfstoff versorgt werden.

Für die Finanzierung sollen wirtschaftlich starke Länder Mittel zur Verfügung stellen, laut dem „ACT Accelerator funding tracker“ der WHO sind Großbritannien, Deutschland und Norwegen momentan die größten Geldgeber. Wirtschaftlich schwache und arme Länder sollen bei der Pandemiebekämpfung unterstützt werden, indem sie beispielsweise den Impfstoff um ein Vielfaches billiger bekommen.

Ungerechte Verteilung

Doch Staaten wie Israel oder die USA und auch die Europäische Union schlossen schon im Vorhinein einzeln Verträge mit den Herstellern ab, um für ihre Bevölkerung schon Impfdosen zu sichern. Es entstand fast ein Wettbewerb und wie so oft stehen auch hier die Staaten mit dem höchsten verfügbaren Budget besser da. Deshalb wird in wirtschaftlich starken Staaten jetzt schon geimpft und viele andere sehen zu.

Argumente, die das bekräftigen, bekommt man in Diskussionen schnell zu hören: In wirtschaftlich starken Staaten wurden und werden die Impfungen entwickelt, finanziell unterstützt auch von den frühzeitigen Bestellungen, außerdem seien die „Industriestaaten“ momentan am stärksten von der Pandemie betroffen, weil das durchschnittliche Alter der Bevölkerung höher ist.

Kann man so die ungerechte Verteilung rechtfertigen? Nach dem Motto: „Ihr bekommt später Impfstoff gegen Corona, bei euch sterben die Leute sowieso schon früher an anderen Krankheiten, also trifft euch die Pandemie weniger stark!“ Zum Vergleich: 2018 erkrankten laut der WHO 228 Millionen Menschen an Malaria, über 400.000 Personen starben daran, obwohl diese Krankheit vermeidbar und behandelbar wäre. Laut der WHO wurden 2,7 Milliarden US-Dollar in die Malaria-Forschung und -Bekämpfung investiert.

Globale Missstände, neue Perspektiven

Angenommen, die Europäische Union würde zum momentanen Zeitpunkt freiwillig auf einige Impfstoff-Dosen verzichten und sie wirtschaftlich schwächeren Länder „schenken“. Von vielen Menschen käme lautstarke Kritik, die stark nach Impfnationalismus klingt: „Wir haben doch selbst noch nicht genug!“ Irgendwie erinnert das doch an die Klopapier-Situation im März, oder?

Aber wie wäre es, wenn wir die gesamte Situation von einer anderen Perspektive betrachten würden?

In vielen Entwicklungsländern werden schon seit Jahren Produkte wie Lebensmittel, Kleidung oder Handys für Industriestaaten produziert, möglichst schnell, möglichst billig – koste es, was es wolle. Der Mangel an Wohlstand, (medizinischer) Infrastruktur und Bildung in vielen Ländern ist mitverantwortlich für das niedrige Durchschnittsalter der Bevölkerung. Die Grundlagen dafür gehen zur die Kolonisierung zurück und durch die andauernde Ausbeutung der Schwächsten wird dieses System nur noch verstärkt.

Deshalb können solche Staaten im internationalen Wettkampf um Impfdosen nicht mithalten und werden auch da von den reichen Industriestaaten überholt. Es wäre zu idealistisch, überhaupt davon auszugehen, dass global gerecht geimpft wird.

Doch mit Nationalismus kommt man nicht weit, das gilt auch für Impfnationalismus. Die Grenzen auf der Landkarte oder in unseren Köpfen kennt das Virus nicht.

Die Corona-Pandemie ist eine Krise auf vielen Ebenen, aber das Impfdilemma kann als Anstoß dienen, Grenzen zu überwinden. Dann könnte mit weiteren Herausforderungen, die nach der Pandemie kommen (denn sie werden kommen!), international besser umgegangen werden.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 23.04.2024 bearbeitet.

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