Hochsensibilität: Was ist das?

Leben
Nico Lang / 18.02.2021
Hochsensibilität: Was ist das?

Vor einiger Zeit meinte eine Freundin von mir, es könnte sein, dass ich hochsensibel sei. Hochsensible Menschen nehmen Reize anders und/oder verstärkt wahr. Da ich zuvor wenig bis kaum darüber gehört hatte, wurde sofort die Suchmaschine meines Vertrauens befragt: „Was ist Hochsensibilität?“

Der Begriff „Hochsensibiltät“

Bevor wir zu der Frage kommen, ob ich denn jetzt hochsensibel bin, schauen wir uns einmal an, was Hochsensibilität eigentlich bedeutet. Der Begriff wurde als Erstes in den 1990er Jahren von der US-amerikanischen Psychologin Elaine N. Aron verwendet. Er bezeichnet Menschen, die ihre Umwelt stärker als andere wahrnehmen. Die Forschung dazu steckt aber noch in den Kinderschuhen. Hochsensibilität wird aktuell so erklärt, dass der Thalamus, ein Teil unseres Zwischenhirns, bei Hochsensiblen mehr Reize als „wichtig“ einstuft und ungefiltert durchlässt.

Wichtig ist aber: Hochsensibilität ist keine psychische Störung oder Krankheit.

Aber nicht alle hochsensiblen Menschen weisen dieselben Merkmale auf. Es gibt also verschiedene Arten von Hochsensibilität, die sich teilweise auch überschneiden. Während die einen stärker auf Licht reagieren, haben andere einen stärker ausgeprägten Geruchsinn oder sind emotionaler und erleben dadurch bestimmte Ereignisse intensiver – positive wie negative. Aktuell wird davon ausgegangen, dass 15 bis 20 % der gesamten Bevölkerung hochsensibel sind.

Wie erkennt man Hochsensibilität?

Wie vorhin erwähnt gibt es verschiedene Merkmale, die bei hochsensiblen Menschen auftreten:

  • Bildhaftes Denken
  • Detailreiche Wahrnehmung der Umwelt
  • Hohe Begeisterungsfähigkeit
  • Gutes Einfühlungsvermögen
  • Intensives Erleben von Kunst und Musik

Da einige der genannten Faktoren auch auf mich zutreffen, habe ich gleich darauf den erstbesten Hochsensibilitätstest im Internet gemacht (Nein, nicht bei Teste-dich). Bitte beachte: Ein Selbsttest ersetzt nicht eine ärztliche Diagnose.

    Wie wir alle wissen sind solche Tests nicht immer sehr seriös, weshalb ich gleich vier andere ausprobiert habe. Bei allen fünf Tests lautete das Ergebnis: Ich bin hochsensibel. Der nächste Schritt wäre jetzt, zu einem Psychologen oder einer Psychologin zu gehen, um bei einem Gespräch herauszufinden, ob ich wirklich hochsensibel bin.

    Eine Studienkollegin, die an dieser Stelle anonym bleiben möchte, da das Thema für sie persönlich relevant ist, hat dies getan. Eine Expertin hat ihren Verdacht bestätigt. Ich habe mit meiner Studienkollegin ein kleines Interview geführt.

    Interview: Wie ist es, hochsensibel zu sein? 

    Wie würdest du Hochsensibilität am besten beschreiben?

    Jeder Mensch hat „Schutzpanzer“, die einem dabei helfen, bestimmte Dinge abprallen zu lassen (seien es Gefühle, Sinneseindrücke etc.). Dieser Schutzpanzer ist in der Regel aus Eisen. Bei Hochsensiblen ist er jedoch aus Holz. Eisen ist natürlich härter als Holz und viele Stimmungen, Eindrücke usw. werden damit abgewehrt, bevor sie einen überhaupt erreichen. Andere Dinge erreichen einen zwar, aber in abgeschwächter Form. Holz ist hingegen viel schwächer und deshalb auch durchlässiger. Hochsensibilität heißt daher nicht (wie viele denken) einfach ein „Sensibelchen“ zu sein und Dinge zu ernst zu nehmen oder einfach „zu übertreiben“. Es ist etwas, was man nicht beeinflussen kann.

    Welche Merkmale treten bei dir unter anderem auf?

    Ich reagiere zum Beispiel physisch und psychisch sehr stark auf Wetterumschwünge und die unterschiedlichen Jahreszeiten. Generell nehme ich meine Umgebung detaillierter wahr als die meisten. Wenn ich einen Raum betrete, merke ich oft sofort, wenn etwas nicht stimmt, weil ich die Stimmung anderer schon von weitem spüren kann. Das führt auch dazu, dass mich Stimmungen von anderen sehr stark beeinflussen. Manchmal kommen auch Menschen auf mich zu, die ich kaum bis gar nicht kenne, die mir von ihren Problemen erzählen, die sie sonst niemandem anvertrauen. Das kann einen teilweise schon belasten. Hinzu kommt dann auch, dass ich sehr empathisch, aber auch harmoniebedürftig bin. Schon als Kind habe ich Streit gehasst.

    Noch dazu ist meine Haut zum Beispiel ist auch sehr empfindlich. Ich bekomme sehr schnell blaue Flecken, ohne wirklich zu wissen woher. Auch bei Kleidung ist es manchmal so, dass sie bei mir extrem kratzt, während andere sie als angenehm empfinden.

    Wie sehr beeinflusst das dein Leben?

    Als Teenager habe ich mir selbst eingeredet „zu sensibel zu sein“. Seit ich selbst über meine Hochsensibilität Bescheid weiß, gehe ich viel entspannter mit mir selbst um. Statt mich dafür zu verurteilen, etwas zu empfinden oder mich unwohl zu fühlen oder überfordert zu sein, habe ich nun eine Erklärung, warum es so ist. Das hilft mir sehr, mich selbst besser zu verstehen und auch zu akzeptieren. Aber ich habe erst vor kurzem darüber erfahren und bin gerade erst dabei alles zu verstehen. Ich denke, dass man, wenn man hochsensibel ist, im Laufe seines Lebens immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt wird. Daher ist es ein niemals endender Lernprozess.

    Es beeinflusst mein Leben manchmal mehr, manchmal weniger. Dies hängt immer von einer bestimmten Situation ab. Einschränkungen sehe ich jedoch keine. Im Gegenteil: Ich kann Dinge wahrnehmen und spüren, wie es andere nicht können.

    Hast du durch deine Hochsensibilität auch schon schlimme Erfahrungen gemacht?

    Nicht sehr angenehme Erfahrungen sind, dass Leute oft nicht verstehen, wie es ist hochsensibel zu sein. Es meint bestimmt niemand böse, aber Aussagen wie „Das ist nur das Wetter“ oder „Sei nicht so sensibel“ oder „Jetzt übertreibst du aber“ sind manchmal sehr verletzend. Das kommt oft vor allem von Leuten, die man weniger kennt. Ich fühle mich oft sehr unverstanden und so als würde man mich nicht ernstnehmen. Auch im engeren Kreis meiner Familie oder bei meinen Freundinnen merke ich, dass ich bei bestimmten Dingen einfach akzeptieren muss, dass sie es nicht nachvollziehen können.

    Richtig schlimme Erfahrungen sind Momente und Situationen, in denen ich einfach überfordert bin und nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Oft nehme ich Dinge wahr und kann sie nicht einordnen oder weiß keinen Grund dafür, warum sie mich plötzlich so belasten. Das kann ein Geruch sein, ein plötzliches Gefühl, das im Raum ist, oder wenn Fremde mir plötzlich ihre tiefsten Lasten, Sorgen und Geheimnisse aufbürden. Oft überträgt sich die Stimmung von anderen extrem auf mich. Das ist auch sehr unangenehm, da es sich anfühlt, als würde man gerade manipuliert werden.

    In welchen Bereichen im Leben hilft es dir sogar?

    Es hilft mir, Menschen und deren Stimmungen besser einzuschätzen, als es andere können. Wenn ich einen Raum betrete, merke ich ziemlich schnell wie die Leute drauf sind. Spannungsfelder sind auch leicht für mich zu erkennen. Außerdem hilft es mir, Änderungen viel eher wahrzunehmen als andere, sei es beim Wetter oder auch bei Stimmungen.

    Einfache Dinge, wie einen Spaziergang in der Natur oder Musik nehme ich auch sehr intensiv wahr. Außerdem habe ich ein unglaublich gutes Bauchgefühl in vielen Lebensbereichen. Ich merke auch, dass ich sehr feinfühlig bin und oft einen sehr scharfen Blick auf Dinge habe und Perspektiven habe, die sich anderen nicht erschließen. Ich denke, dass dies für mich auch im späteren Privat- und Berufsleben von Vorteil sein könnte.

     

    Wenn du Fragen hast oder vermutest, von einer Kondition wie Hochsensibilität betroffen zu sein, wende dich bitte an einen Facharzt oder Fachärztin.

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    Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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