Ma(tura)lheur

Wissen
Pauline Tagwerker / 07.06.2017
Beim Lernen mit aufgeschlagenem Buch auf der Schoß

von Pauline Tagwerker

Geschafft! Die schriftlichen Maturaklausuren haben mit der Notenbekanntgabe diese Woche nun offiziell ein Ende gefunden.  Tausende SchülerInnen, LehrerInnen, PädagogInnen und BundesministeriumsmitarbeiterInnen atmen erleichtert auf. Richtige Katastrophen in den schriftlichen Arbeiten, wie letztes Jahr in Mathe, sind uns glücklicherweise erspart geblieben, was für das Bundesministerium sicher auch ein Grund zu feiern ist, ist es doch schließlich zum ersten Mal alleine verantwortlich für den reibungslosen Ablauf der Prüfung zum Abschluss der Schulkarriere. (Auf der Seite des Bifie wird auch sehr nachdrücklich darauf hingewiesen.) Anscheinend beginnt mit dem BMB – dem Bundesministerium für Bildung – eine neue „Maturaära“. Dennoch wird hier und da ein bisschen Kritik laut und ich möchte meine Chance nicht verpassen, auch meine Meinung zu äußern.

Unsere Matura ist bei weitem nicht perfekt und das wird auch noch länger so bleiben, egal wie lange die Bekanntgabe der Maturastatistiken noch weiter hinausgezögert wird, um, wie das BMB meint, einen möglichst vollständigen Blick auf die Ergebnisse zu präsentieren. Das wird nur ein paar Schönheitsfehler von letztem Jahr kaschieren, aber nicht die dauerhafte Unzufriedenheit wegzaubern.  

Prinzipiell ist die Idee einer zentralen Abschlussprüfung für alle österreichischen Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar und sinnvoll, wobei es an der Umsetzung noch einiges zu verbessern gibt. Speziell in den Sprachen herrscht noch viel, viel Luft nach oben oder zur Seite oder eigentlich in alle Richtungen. Mein persönlicher „Aufreger“ dieses Jahr, aber auch generell, war ja Deutsch.

Ich mag Deutsch. Es war immer schon eines meiner liebsten Fächer und ich verbringe auch zuhause gerne Zeit mit Lesen und kreativem Schreiben, interessanterweise mit genau den beiden Dingen, die beim Lehrplan für die Zentralmatura als erstes rausgeflogen sind. Warum? Ja, warum nur? Nun ja, das Bifie, nein, Verzeihung, jetzt das Bundesministerium für Bildung, findet es nicht so wichtig, dass Lesekompetenz und Spielen oder Experimentieren mit der Sprache gefordert und gefördert bzw. in der Matura angewendet wird. Essentiell für das Bestehen ihrer Matura ist die Kenntnis der neun heiligen Textsorten (Erörterung, Empfehlung, Leserbrief, Kommentar, Offener Brief, Meinungsrede, Textanalyse, Textinterpretation und Zusammenfassung), die Abarbeitung der Operatoren, ein sachlicher, auf keinen Fall experimenteller, Schreibstil (sonst Punkteabzug), Beistrichsetzung und Rechtschreibung.

Anders als bei der „alten“ Matura gibt es keine Pflichtlektüren mehr, was einer der wichtigsten Bestandteile des Unterrichts wäre, da nur beim Lesen und Auseinandersetzen mit Texten Sprachgefühl entwickelt wird. Jetzt werden selbst lesebegeisterte Lehrerinnen und Lehrer über kurz oder lang nachdenken müssen, wie viel Zeit sie Büchern widmen, da die Literatur ihren Schützlingen ja nicht mehr weiterhilft. Auch wird nicht mehr ein langer, durchgehender Text geschrieben, sondern zwei kürzere, bei denen die Wortanzahl auf gar keinen Fall überschritten werden sollte und die Ausgangssituation (die meist sehr an den Haaren herbeigezogen ist) unbedingt eingearbeitet werden muss, ansonsten Punkteabzug. Anstatt die Schülerinnen und Schüler zu belohnen, wenn sie sich mit dem Thema über das geforderte Maß beschäftigen, werden sie „entpunktet“ und das kann über Noten entscheiden. Notenentscheidend ist auch die vorher schon genannte „Operatoren-Abarbeitung“, der Text eines Jugendlichen kann noch so perfekt sein, wenn ein Operator fehlt, nicht genau oder im Sinn des Ministeriums beantwortet wird, kann das die positive Note kosten. Ist das gerecht? Nein. Ist das kompetenzorientiert? Nein.

Die Operatoren-Frage ist besonders bei einer Textsorte sehr wichtig: der Interpretation. Interpretieren will gelernt sein. Um vernünftig interpretieren zu können, benötigt es ein gewisses Grundwissen sowohl in Literatur als auch in Allgemeinbildung. Ist beides nicht vorhanden, gibt es ein Problem. Aber nicht bei der Zentralmatura. Um das fehlende Wissen, das laut BMB nicht vorausgesetzt werden kann, zu kompensieren, gibt es eine Infobox bei jeder Textsorte. Der Punkt bei dieser Infobox zu Mascha Kalékos „Zeitgemäße Morgenandacht“ war heuer folgender: Sie hat die Interpretierenden in eine bestimmte Richtung gelenkt, die „richtige“ Interpretation also quasi vorgegeben. (Diese „richtige“ Interpretation war laut ExpertInnen aber gar nicht so richtig, aber das ist eine andere Geschichte.) Wer anders interpretiert hat, auf eigene Ideen gekommen ist, wie normalerweise bei Interpretation üblich und gerechtfertigt, der hat den Kürzeren gezogen. Das ist zumindest das Urteil der IG Autorinnen und Autoren Österreichs, die jeden Schüler und jede Schülerin bemitleiden, die aufgrund dessen eine schlechte Note bekommen haben. Natürlich waren auch einige Lehrerinnen und Lehrer kooperativer und aufgeschlossener und haben den Lösungsschlüssel glücklicherweise nicht so ernst genommen.

Was schließen wir jetzt also aus all dem? Die Zentralmatura erfordert keine Kompetenzen, Textverständnis ist nicht wichtig (es wird eh vorgegeben, was richtig ist), eine eigene Interpretation ist der Untergang, ein eigener experimenteller Schreibstil der Tod. Fairness, Vergleichbarkeit? Nun ja, eher nicht. Ich will nicht sagen, dass das BMB nicht kompetent ist. Ich will aber auch nicht sagen, dass es nicht inkompetent ist. Vermutlich ist es inkompetenzkompensationskompetent, besser eine Kompetenz als gar keine.

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