"Nur eine Frau" - ein Film zum Diskutieren

Kultur & Events
Anna Lena Bramreiter / 05.06.2019
Nur eine Frau

Eine Stimme spricht aus dem Off. Der Film beginnt mit einem Ereignis, mit dem der „Tatort“ am Sonntag auch beginnt: dem Mord. Diesen Mord hat ihr jüngster Bruder Nuri begangen, erzählt Aynur. Doch wie kam es dazu?

Mit klaren Worten und emotionalen Momenten wird uns die Geschichte eines Ehrenmordes erzählt. Ein Problem, das in manchen muslimischen Familien tief verwurzelt ist. So tief, dass der Film mehrere Perspektiven braucht, um das Problem als Ganzes fassen zu können. Die Handlung wird vor allem von spannenden Personencharakterisierungen getragen.

Hier ist einmal Aynur, eine selbstbewusste Frau, die zerrissen in ihren Wertvorstellungen ist. Sie liebt ihre Familie, kann aber nicht mit deren Ansichten leben. Distanz ja, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Aynur will selbstbestimmt leben und dennoch Kontakt zu ihrer Familie haben. Man kann es Naivität oder Gutmütigkeit nennen, ihre Einstellung wird der Deutschtürkin zum Verhängnis. Aynur hat vier Brüder, wovon drei das Sagen haben. Der vierte ist ein Student und Außenseiter der Familie. Der Vater ist zwar körperlich anwesend, aber nicht geistig präsent und überlässt machtlos das Leben seiner Tochter den radikalen Ansichten seiner Söhne. In diesen Ansichten ist die Frau nur ein Besitz des Mannes. Die Mutter steht hinter den Traditionen, mehr, als sie hinter ihrer eigenen Tochter steht. Der Begriff Ehre und Familie hat in dieser Welt eine ganz andere Bedeutung: Beschmutzt kann diese Ehre auch nur von einer Frau werden. Gewalt, eine fragwürdige Auslegung des Korans und viel psychischer Druck führen zu einer Tat, die 2005 wirklich begangen wurde.

Der Film spricht wesentliche gesellschaftliche Probleme an. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien und Graz gibt es diese Parallelgesellschaften, die nach eigenen Regeln leben. In Schulen kommt nicht der Vater oder die Mutter zur Sprechstunde, sondern der Onkel, der das Familienoberhaupt und somit das Sagen im Familienverband hat. Frauen, die sich ganz dem Willen der Männer fügen. Aus Angst oder Überzeugung? Viele Fragen, die offen bleiben. Vor allem, da Aynurs Schicksal bestimmt kein Einzelfall ist.

Als Zuseher*in fragt man sich am Ende von „Nur eine Frau“: Kann ICH etwas ändern? Kann der STAAT oder die Justiz etwas ändern? Diese Fragen muss jeder für sich beantworten. Der Film sollte nicht gesehen werden, um irgendwelche Vorurteile zu bestätigen. Dieser Film muss gesehen werden, weil es ein Problem gibt, das gemeinschaftlich gelöst werden kann. In Schulen gibt es noch die präventive Möglichkeit, eine neue Generation an Menschen zu erziehen, die ihren Glauben in einer gemäßigten Form ohne Gewalt und Hass ausleben. Eine neue Generation, die mit fragwürdigen Traditionen bricht. Aber nicht nur die Radikalisierung wird angeprangert, sondern auch das Versagen des Rechtsstaates, die durch ein Lügennetz zu nicht genug Beweisen kommt. Doch inwiefern Gesetze und Verurteilungen an diesen tiefverwurzelten Werten etwas ändern können, bleibt unbeantwortet.

Starkes Schauspiel, berührende Geschichte: Ein Kinobesuch, der einen noch lange Nachdenken lässt.

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 17.04.2024 bearbeitet.

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