"Händchen halten oder nicht?"

Leben
Andrea Ortner / 23.06.2020
Anna Egger / 23.06.2020
Daniel und Philipp

Gay, queer, pan und noch viele andere sexuelle Orientierungen werden unter dem Regenbogen der LGBTIQ+ Community zusammengefasst. Doch welche Erfahrungen machen Menschen abseits der heteronormativen Konzepte? Und wofür stehen eigentlich die einzelnen Buchstaben von LGBTIQ+? Andrea Ortner und Anna Egger widmen sich im Auftakt ihrer Serie dem “G”, welches für die Lebensrealität der Schwulen beziehungsweise der “Gays” steht.

Händchen halten oder nicht?

„Man muss sich jedes Mal bewusst sein, wie man sich verhält“, erzählt Philipp (41). Der Kartenchef für ein beliebtes Wiener Theater trägt eine dunkelrote Weste und eine gleichfarbige Fliege. „Daniel schaut sich davor sogar immer noch manchmal um“, fährt er fort, während er seinen Partner Daniel (34), der neben ihm sitzt, anlächelt. Die beiden sind seit 12 Jahren zusammen.

Wir befinden uns in der stilvoll eingerichteten Wiener Altbauwohnung der beiden. Ein Klavier und Bücherregale schmücken die Wohnung. Dazwischen tollen zwei schwarze Katzen herum, die sich als kleine Diven entpuppen. An einer Wand hängt ein Foto von der Hochzeit der beiden, zum Essen gibt es etwas traditionell Vietnamesisches.  Ebenfalls anwesend ist der 22-jährige Hanni. Der Meteorologie-Student aus Vorarlberg plant, seinen Freund 2022 zu heiraten.

Wir haben die Drei gebeten, uns einen Abend lang Frage und Antwort zu stehen – zu ihren Outings, dem Alltag, schönen Momenten und weniger schönen. Schließlich wollen wir herausfinden: Inwiefern hat sich das queere Alltagsleben im Laufe einer Generation verändert?

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Händchen halten: Von Offenheit und Fahrradunfällen

Eine 2019 von der European Union Agency for Fundamental Rights durchgeführte Studie [1] ergab, dass 61 % der LGBTI-Personen in der EU es vermeiden, die Hand ihres Partners oder ihrer Partnerin zu halten. Auch Philipp und Daniel erinnern sich an einige Vorfälle, in denen ihr gemeinsames Auftreten für neugierige Blicke bis zu unangebrachten Kommentaren gesorgt hat.  „Einmal sind wir händchenhaltend die Lerchenfelderstraße entlang gegangen, als plötzlich ein Fahrradlieferant gar nicht mehr aufhören konnte, uns im Vorbeifahren anzustarren. Das endete schließlich in einem kleinen Fahrradunfall“ erzählen die beiden schmunzelnd. Passiert sei zum Glück nichts – dennoch: Selbst in Wien müsse man sich je nach Bezirk überlegen, ob man als Paar auftritt oder ob man seinen Partner zum Abschied küssen möchte.

Schwule Schule: Wie weit geht die Inklusivität?

Als unser Gespräch anfängt, sich um die Schule zu drehen, werden die Generationsunterschiede erstmals richtig sichtbar: Während „Schwuchtel“ in den 90ern noch ein immerzu verwendetes Schimpfwort war und an ein Coming-Out für Philipp aufgrund homophober LehrerInnen und SchülerInnen gar nicht zu denken gewesen wäre, waren Hannis Erfahrungen knappe 20 Jahre später andere. Für seine Klasse gab es Workshops, die über HIV/AIDS  und andere geschlechtlich übertragbare Krankheiten aufklärten, in Sexualkunde wurde das Thema Sex ganzheitlich beschrieben, Homosexualität wurde nie tabuisiert. An einem Nachmittag wurden zwei schwule Männer eingeladen, um mit den SchülerInnen eine Gesprächsrunde zu veranstalten – organisiert vom Religionslehrer. Auch die oben genannte Studie weckt vorsichtigen Optimismus: EU-weit berichtet immerhin knapp die Hälfte der 15- bis 17-Jährigen, dass „sie und ihre Rechte als LGBTI-Person in der Schule von einer anderen Person unterstützt, verteidigt und geschützt“ werden.

Coming out: „Aber dem Papa sagen wir’s vorerst nicht“

„Ich hatte gleich mehrere Coming-Outs“, erzählt Daniel. Dass er sich für Männer interessiert, war ihm schon sehr früh bewusst und obwohl Daniel sich eine Zeit lang gegen das „Schwul-sein“ wehrt, weil es für ihn die Assoziation des „Tuntigen“ gibt, beginnt er mit sechzehn mit einem Mann via E-Mail zu schreiben. „Einmal hat meine Mama dann insistiert, dass ich mit ihr spazieren gehe und mich darauf angesprochen.“ 

Daniels streng-katholische Mutter hatte seine E-Mails gefunden und war voller Sorge um ihren Sohn. Außerdem machte sie sich selbst Vorwürfe. Am Ende des Spaziergangs kamen die beiden zu dem Schluss: „Aber dem Papa sagen wir‘s vorerst nicht.“

Der Papa erfuhr es dann im Streit mit der Tochter. „Hauptsache die Oma erfährt nichts von all dem“, war dann das neue Credo. 

Der Weg zur Akzeptanz dauert. Die Eltern hoffen noch das ganze Studium lang darauf, dass ihr Sohn eine Frau heimbringt. Der Rest der Familie erfährt nur häppchenweise davon, dass Daniel einen Freund hat. Einmal spielt Philipp einen Abend lang bei einem spontanen Familienessen mit den Großeltern den besten Freund. Aber bei der Hochzeit 2018, die im kleinen Freundeskreis gefeiert wird, kommt dann überraschenderweise eine Videobotschaft der Oma, in der sie den beiden zur Hochzeit gratuliert.

Im Gegensatz zu Daniel hatte Philipp kein wirkliches Coming-Out. „Irgendwann bin ich mit dem ersten Freund nach Hause gekommen. Das hat meine Mutter nicht unerwartet getroffen.“ 

Hanni ging es da ähnlich, zwar hat er sich vor seinen Eltern letztes Jahr offiziell als pansexuell geoutet, aber auch bei seiner Familie hat sich die Überraschung in Grenzen gehalten. „Ich hatte als Kind so meine ‚Gay‘-Moments“ meint er nur schmunzelnd.

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Repräsentation im Vorbeigehen

Ob Hanni, Daniel und Philipp Vorbilder hatten? Nein, eigentlich nicht. Ob sie sich repräsentiert fühlen? Nachdenkliches Schweigen. Manchmal könne er sich schon mit schwulen Charakteren in Filmen oder Serien identifizieren, sagt Hanni schließlich, so wie mit der Hauptfigur im Film „Love, Simon“.

„Heutzutage fühlen sich alle gezwungen, zu repräsentieren. Es gibt eine schwarze, eine queere und eine gehandicapte Quotenperson. Dabei sollte Repräsentation im Vorbeigehen passieren“, sagt Philipp. „So wie in ‚Star Wars: The Rise of Skywalker‘, in dem sich zwei Frauen geküsst haben. Das Verrückte ist dann nur, dass diese paar Sekunden dann für einige Länder rausgeschnitten wurden.“

Ein wichtiger Meilenstein in der Repräsentation von Schwulen war der 1993 herausgebrachte Film „Philadelphia“. „Nicht nur, dass es einen schwulen Hauptcharakter gab, nein, er wurde auch noch von einem so berühmten Schauspieler gespielt wie Tom Hanks!“

Repräsentation im Vorbeigehen: Dieses Konzept verstehen einige nicht, so auch die Walt Disney Company, die gerade ihren ersten Film mit einem schwulen Hauptcharakter herausbringt. Worum es geht? Natürlich dreht sich in „Out“ alles um das „Schwul-Sein“ und das damit verbundene Coming-Out vor den Eltern. Natürlich, es ist schön, dass queere Menschen auch einmal in den Mittelpunkt des Disney-Universums gerückt werden, aber hätte man nicht bei Elsa aus „Die Eiskönigin“ anfangen können? Die Realität von queeren Personen zu zeigen ist wichtig, aber wie wäre es mit einer Transgender-Prinzessin, die auch Abenteuer abseits ihrer „Abnormalität“ erlebt?

Diskriminierung im In- und Ausland

Tatsächliche körperliche Übergriffe oder Diskriminierung bei der Arbeit, wo Philipp und Daniel ja doch nicht umhinkommen, ihren Partner zu erwähnen, wenn die Gespräche einmal privater werden, kennen die beiden nicht. 

Diesbezüglich können sie sich glücklich schätzen, denn laut der Studie der European Union Agency for Fundamental Rights fühlt sich „[j]ede fünfte befragte Person [...] am Arbeitsplatz und mehr als jede dritte bei Freizeitaktivitäten in der Öffentlichkeit diskriminiert.“

Außerhalb Österreich zeigen Philipp und Daniel so gut wie nie, dass sie zusammen sind. Immerhin sind ihnen die restriktiven Gesetze und Umgangsweisen mit Homosexualität anderer Länder bekannt. Aber bei all der Offenheit Österreichs entdeckt man auch hier legale Diskriminierung, so schließt das Rote Kreuz „Männer, die Sex mit Männern hatten“ von Blutspenden aus. „Dieser Ausschluss erfolgt aufgrund eines signifikant höheren Infektionsrisikos für HIV und des verbleibenden Restrisikos bei der Diagnostik“, wird begründet. [3] Diskriminierend ist es trotzdem.

Die Welt von morgen

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation in Österreich definitiv verbessert – darin stimmen Hanni, Daniel und Philipp überein. „Die Bevölkerung ist im Großen und Ganzen toleranter geworden und das ist gut so. Außerdem können junge Menschen ihre queere Identität auch mehr ausleben“, meint Philipp, als er von einem Schüler erzählt, der mit ihm gemeinsam als Freiwilliger für AFS, eine Organisation die AustauschschülerInnen betreut, arbeitet. Dieser schminkt sich täglich, hat stets kunstvoll verzierte Fingernägel und ist in einer Beziehung mit einem Mann. Outen musste dieser sich nie – die Nägel sprechen für sich. Statt Ausgrenzung zu erfahren, begegnen ihm die meisten Menschen mit Toleranz und Respekt. 

Auch die Gesetzeslage hat sich in einigen Bereichen verbessert, wie etwa das Antidiskriminierungsgesetz, das „Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung“ verbietet. [2] Auch der berüchtigte Paragraf 209 wurde abgeschafft. Dieser legte das Schutzalter für Beziehungen unter Männern auf 18 Jahre fest – für andere Beziehungskonstellationen war das Schutzalter jünger. Seit 2002 gibt es eine neue Regelung, die sowohl geschlechts- als auch beziehungsneutral ist.

Generell habe sich auch der Umgangston verbessert: Hörte man von 25 Jahren noch oft wie „ekelhaft“ Homosexualität sei, wird heute eine tolerante Haltung vorausgesetzt. Nicht unschuldig daran ist die von manchen durchaus polemisierte „political correctness“, denn: „Sprache schafft Gedanken. Und Ziel muss ein Umdenken im Umgang miteinander sein.“ Wir sind als Gesellschaft also schon weit gekommen – am Ziel sind wir deswegen aber noch nicht. 

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Was wünschen sich Daniel, Philipp und Hanni von der Zukunft? Von der Politik wäre unter anderem weniger Fixierung auf das binäre Geschlechtssystem erwünscht – etwas, das bis dato nur teilweise umgesetzt wird. Ein Fortschritt ist, dass Österreich seit 2018 den offiziellen Geschlechtsstatus „divers” hat. Dieser Schritt erkennt die Existenz von Menschen an, die beide Geschlechtsmerkmale aufweisen und/oder sich weder eindeutig als Mann oder Frau fühlen.

Bezüglich der Gesellschaft sagt Philipp: „Ganz ehrlich, ich würde mir mehr Outings wünschen. Das kann man natürlich nicht erzwingen, aber es würde einen großen Unterschied machen. Für uns alle.“ Schließlich schreiben wir das Jahr 2020 – Männer lieben Männer, Frauen lieben Frauen, Transidentität ist absolut real und Gender ist nicht binär. 

Wir schaffen das – immerhin sang Lady Gaga schon 2011(!) diese berühmten Zeilen:

„No matter gay, straight, or bi
Lesbian, transgendered life
I'm on the right track baby
I was born to survive“

Happy PRIDE!

 

Quellen:

@jugendportal auf Instagram

Jugendportal.at wurde zuletzt am 23.04.2024 bearbeitet.

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