Wer gibt uns unsere Jugend zurück?

Leben
Lena Heiß / 04.12.2020
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Wer gibt uns unsere Jugend zurück?

Das Thema COVID-19 bestimmt derzeit das Programm der Medien – und das zurecht: die zweite Welle trieb die Infektionszahlen in derartige Höhen, dass die Österreichische Regierung einen zweiten, strikteren Lockdown als einzige Möglichkeit zur Eindämmung des Virus sah. Von diesen Maßnahmen sind die wichtigsten Bereiche des Wirtschafts-, Gesundheits- und Bildungssektors betroffen, allerdings werden vor allem auch unsere sozialen Bedürfnisse stark durch diese Lockdown-Regeln beeinträchtigt.

Obwohl speziell die Jugendlichen in den Medien oft verallgemeinernd verantwortungslos dargestellt wurden und somit oft für die hohen Infektionszahlen herhalten mussten, scheint die Realität vieler junger Erwachsener eine andere zu sein. Dass nicht alle Jugendlichen die Klischees der Medien erfüllen, bestätigte sich anhand meiner Instagram-Umfragen sowie Interviews mit den Schülerinnen Anna-Lena und Victoria und Studentin Leonie.

Wie sich Corona auf Schule, Freundschaft und Dating auswirkt, seht ihr jetzt in meiner Reportage...

Zwischen Online-School, Matura und Zukunftsängsten

Wenn ich an meine Maturazeit zurückdenke, erinnere ich mich an eine der mitunter besten Zeiten meines Lebens, geprägt vom Bedürfnis, sich in größeren Gruppen zu treffen und auszutauschen. Obwohl ich auf die Reifeprüfung lernen musste und mir der Druck oftmals zu schaffen machte, war dieser Bereich meines Lebens von ausgelassenem Feiern, unglaublichem Freiheitsempfinden und einem unvergleichbaren Lebensgefühl geprägt.

Mit der Coronasituation blicken viele MaturantInnen ihrem Abschlussjahr viel angespannter entgegen. Wie ist es wirklich, in einer noch nie da gewesenen Krise im entscheidenden Schuljahr zu stecken? Ich durfte unter anderem Anna-Lena, eine Tiroler Achtklässlerin, zu ihrer derzeitigen Situation interviewen.

Die junge Erwachsene erklärte, dass die gravierendste Umstellung für die SchülerInnen definitiv der Umstieg auf die Fernlehre gewesen wäre. Statt den Unterrichtsstoff im Klassenzimmer zu besprechen und unmittelbare Hilfestellung zu erhalten, waren und sind sie und ihre MitschülerInnen oftmals auf ihre eigene Disziplin und Selbstständigkeit angewiesen.

„Uns werden zwar Videos, teilweise von den Lehrern selbst aufgenommen, teilweise aus anderen Lernportalen importiert, sowie andere Materialien zur Unterstützung geboten, dennoch sind wir in diesem Aspekt sehr auf uns selbst gestellt“, erläutert Anna-Lena.

Auf meine Frage, inwiefern der digitale Unterricht noch verbesserungsfähig wäre, antwortete sie, dass mehr Struktur und Einheitlichkeit ihren Alltag erleichtern würden, da man durch die Vielzahl an Videokonferenz-Softwares und Lernportalen leicht den Überblick verlieren würde. Dennoch legte sie großen Wert darauf zu betonen, dass die betroffenen Lehrpersonen ihr Bestes gaben und geben, den Schülerinnen und Schülern die Unterrichtsgegenstände klar und verständlich zu vermitteln, nur leider mit wechselndem Erfolg.

Ein Aspekt, der mich persönlich sehr interessierte, war die Planung und Umsetzung von Maturaball und Maturareise. Besagte Events sind zwei soziale Meilensteine vieler SchülerInnen und liefern oft prägende Eindrücke, an die man sich ein Leben lang gern erinnert. Die Zeit des Abschlussjahres stellt einen grundlegenden Schritt im Prozess des Erwachsenwerdens und der Selbstfindung eines Menschen dar, der nun für viele Jugendliche im traditionellen Sinne wegfällt. Natürlich besteht kein Zweifel, dass das ‚Handling‘ der Coronakrise eindeutig Vorrang hat, dennoch stellte ich Anna-Lena meine nächste Frage nur ungern, da ich aus Eigenerfahrung weiß, dass man acht Jahre lang auf diese zwei Ereignisse hin fiebert. Wie fühlt es sich also an, zu wissen, dass es schlecht um diese zwei Events steht?

„Unser Maturaball kann leider nicht wie geplant im Jänner stattfinden. Natürlich sind viele enttäuscht, da man sich acht Jahre lang darauf gefreut hat. Ein Trost ist jedoch, dass eine alternative Feier, wenn möglich im Sommer, in Planung steht".

Im Hinblick auf die Maturareise gibt sich die Achtklässlerin optimistisch:

„Die Maturareise steht bei uns auch noch offen, da müssen wir wohl abwarten, wie sich die ganze Situation bis Sommer entwickelt.“

Obwohl es für Maturaball und -reise eher weniger rosig aussieht, schien die junge Erwachsene dennoch sehr motiviert, sich in ihrem Abschlussjahr anzustrengen. Sie bemüht sich eine Balance zwischen Schule und Gesundheit zu finden, da „ohne einen gesunden Körper und Geist, Schule auch nicht funktioniert“. Sie fügt hinzu, dass es in ihrem schulischen Umfeld natürlich auch Jugendliche gab, die Schwierigkeiten hatten, sich während Corona auf die Schule zu konzentrieren.

Zukunftsängste

Neben den unmittelbaren Auswirkungen der aktuellen Krise auf Schülerinnen und Schüler stellen Zukunftsängste eine weitere Konsequenz der Pandemie dar. Wie geht es Anna-Lena damit?

Die Schülerin befürchtet, dass ihrer Generation sowie den Folgegenerationen wirtschaftliche Folgen, unter anderem Arbeitslosigkeit – „vor, während und wahrscheinlich auch nach der Krise“ – zum Verhängnis werden könnten. Allerdings bleibt ihre größte Sorge weiterhin der Klimawandel:

„Ich hatte […] die Befürchtung, dass dieses Problem durch die Coronakrise in den Hintergrund geraten wird. […] Es ist eine große Herausforderung, mit all diesen Themen während einer Pandemie richtig umzugehen und ich bin mir sicher, dass uns die Folgen der Krise viele Jahrzehnte begleiten werden.“

Ihrer beruflichen Zukunft blick Anna-Lena mit viel Unsicherheit entgegen – und damit ist sie nicht allein.

Ob ein Auslandsjahr in nächster Zeit überhaupt möglich sein wird, steht in den Sternen, und bringt somit viele MaturantInnen ins Strudeln. Um die Gesundheit der Allgemeinheit zu garantieren, sind viele Universitäten und Hochschulen gezwungen, ihren Tag der Offenen Tür virtuell zu gestalten, was die Entscheidung für eine Studienrichtung zusätzlich erschweren kann. Auch der ausschließlich digitale Studienstart beeinträchtigt die Studienerfahrungen vieler Jugendlicher. Zusätzlich sind Erstsemestrigen-Partys, Pub-Quizzes und gemütliches Beisammensitzen mit den StudienkollegInnen undenkbar. Das erschwert es massiv, neue Freundschaften zu knüpfen und Anschluss zu finden.

„Wer gibt uns unsere Jugend zurück?"

In einem Gespräch mit Hannah, einer Freundin von mir, die in der Schweiz studiert, schilderte sie mir ihren derzeitigen Alltag. Obwohl sie den Corona-Maßnahmen gegenüber Verständnis zeigte, äußert sie Besorgnis in Bezug auf ihre Jugend:

„Hier in der Schweiz sind die Regeln zwar weniger streng als in Österreich, aber selbst diese milden Maßnahmen verändern unseren Alltag ungemein. Wer gibt uns unsere Jugend zurück?“

Mit diesem Satz trifft die Studentin den Nagel auf den Kopf. Wirtschaftliche Schäden können, wenn auch erst in vielen Jahren, aufgearbeitet werden – verlorene Zeit ist unwiederbringlich.

Eine andere Facette der Corona-Auswirkungen schilderte mir eine Wiener Studentin im Zuge meiner anonymen Instagram-Umfrage. Sie erklärte, dass sie für ihr Wunschstudium nach Wien gezogen sei und nun nur in der Wohnung herumsitze – die Livestreams der Vorlesungen könne sie auch von Zuhause aus ansehen, da wäre sie zumindest nicht alleine.

Einsamkeit ist in Zeiten der Pandemie keine Seltenheit: vor allem im Hinblick auf Freundschaften und Dating fühlen sich derzeit viele Jugendliche allein, das zeigen die Ergebnisse meiner Umfragen.

Instagram-Umfragen: Welchen Einfluss hat Corona auf Freundschaften, Dating und Beziehungen?

Durch drei Umfragen zu den Themen Freundschaft, Dating und Beziehungen während Corona, die ich via Poll-Funktion im Rahmen meiner Instagram-Stories durchführte, offenbarten sich mir äußerst interessante Einblicke in das Gefühlsleben vieler Jugendlichen in meinem sozialen Umfeld.

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Von den 119 Jugendlichen, die an meinem ersten Poll zum Thema Freundschaften während Corona teilnahmen, gab fast die Hälfte aller Befragten an, dass sich ihre Freundschaften durch die Pandemie kaum verändert hätten. Für knappe 35 Prozent, also den zweitgrößten Prozentsatz der Umfrage, schien sich der Freundeskreis verkleinert zu haben.

Die meisten Userinnen und User beschrieben, dass einige ihrer Freundschaften durch den mangelnden Kontakt am Universitäts- oder FH-Campus auseinanderdrifteten und sich ihr Freundeskreis durch fehlende Möglichkeiten sich zu treffen minimierte. Nach wie vor erweist sich das Pflegen bestehender Freundschaften als besonders schwierig, da viele ausländische Studentinnen und Studenten sich dazu entschlossen, in ihr Heimatland zu reisen – das erschwert die Kontakterhaltung natürlich noch mehr

Ein anderer Teil der Befragten sah laut Umfrage die COVID-19-Krise allerdings als Chance herauszufinden, welche platonischen Beziehungen ‚echt‘ sind und welchen der emotionale Tiefgang fehlt.

„Man merkt, mit wem man wirklich befreundet ist und welche ‚Freunde‘ fake sind“

und

„Es hat sich herausgestellt, wem ich wichtig bin und wer mir wichtig ist, aber auch wer nicht“

sind Statements, die mich über Instagram-Direct-Messages erreichten. Ähnliche Nachrichten bekam ich in Bezug auf Dating:

„Keine neuen Männer kennenlernen zu ‚müssen‘ ist das Beste, was mir je passieren konnte.“

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„Keine neuen Männer kennenlernen zu ‚müssen‘ ist das Beste, was mir je passieren konnte“, schrieb eine Userin, die von ihrer Zeit während des ersten Lockdowns berichtet, „Endlich Zeit, mich auf mich selbst und meine Ziele zu konzentrieren.“

Ein anderer User bezeichnete die aktuelle Situation als Erleichterung: „Corona [nimmt] ein bisschen den Druck raus, möglichst bald wen kennenzulernen, finde ich, weil es gerade sowieso nicht das Klügste ist, soziale Kontakte [physisch zu pflegen].“

Obwohl circa 23 Prozent der 73 Befragten angaben, dass die Partnersuche in Zeiten der Pandemie keine Priorität mehr für sie sei, fühlen sich nach wie vor dennoch über die Hälfte der Teilnehmenden immer wieder einsam und finden es frustrierend, keine neuen Menschen treffen zu können. Überraschenderweise versuchten sich nur knapp unter 14 Prozent der befragten Jugendlichen an Online-Dating und Apps wie Tinder, Lovoo und co. – viel öfter las ich, dass sich Jugendliche trauten, eine Person ihres Interesses spontan auf Instagram oder Facebook anzuschreiben.

Genauso erging es Victoria, einer Wiener Schülerin, die ich im Zuge meines Artikels über ihre Beziehung während Corona interviewen durfte. Da sie ihren Partner zur Zeit des ersten Lockdowns im März kennenlernte, bestand ein großer Teil ihrer gemeinsamen Freizeit darin, sich via Social Media auszutauschen:

„Man durfte sich nicht sehen, sowohl von [der] Regierung als auch [von den] Eltern [aus]. Es war halt aufwendiger, wir haben den ganzen Tag lang geschrieben, telefoniert und videogechattet, um Treffen zu kompensieren. Aber dafür haben wir auf den Charakter geschaut und nicht aufs Profilbild […]. Ich hab‘ ihm unvoreingenommen geschrieben und auf seinen Schreibstil geachtet – nicht [auf] Bilder, Posts und Follower.“

„Fernbeziehungen können eine Beziehung enorm stärken, weil man so erst herausfinden kann, was einem eigentlich fehlt."

Die Auswertung meiner Umfrage bezüglich Beziehungen während Corona zeigte, dass die Beziehungen von circa 87 Prozent aller 62 Teilnehmenden entweder stabil blieben oder sich durch die Corona-Krise sogar verbessert haben.

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„Ich glaube, dass das der Fall ist, weil viele Menschen intensiver Kontakt zueinander gesucht haben und sich auch mehr unterhalten haben“, so Leonie, eine Tiroler Studentin, die ihren Freund ebenfalls in der Zeit der Pandemie kennenlernte. „[Dass sich die Beziehungen vieler Jugendlicher verbessert haben] kann auch daran liegen, dass man die Zeit miteinander mehr schätzt und auch mehr Zeit bei einer Partei zu Hause verbringt als zum Beispiel etwas essen zu gehen oder in der Stadt etwas zu unternehmen.“

Vitctoria sieht das ähnlich:

„Ich bin auch überzeugt, dass zeitlich begrenzte Fernbeziehungen eine Beziehung enorm stärken [können], weil man so erst herausfinden kann, was einem eigentlich fehlt. Fehlt mir ein x-beliebiger Mensch für Sex oder Kuscheln oder will ich tiefgründige Gespräche führen und mich versteht fühlen?“

Wie wirkt sich Corona also auf Jugendliche aus?

Meine Schlussfolgerung ist zwiegespalten. Natürlich haben die Einschränkungen viele negative Folgen – neben all den bildungsbezogenen Unsicherheiten, Zukunftsängsten und geplatzten Träumen fühlen sich viele junge Erwachsene einsam und allein. Auf der anderen Seite sehen viele Heranwachsende die Krise als Chance, mehr über sich selbst, ihr soziales Umfeld und ihre Zukunftspläne herauszufinden und geben ihr Bestes, sich weiterzuentwickeln.

Auch wenn es an manchen Tagen ausweglos scheint, geht es dennoch weiter, also Kopf hoch.

„Schwierige Zeiten lassen uns Entschlossenheit und innere Stärke entwickeln.“

– Dalai Lama

 

Youth Reporter-Artikel zum Thema Coronavirus / COVID-19:

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Jugendportal.at wurde zuletzt am 26.04.2024 bearbeitet.

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