Social Distancing und die vermeintliche Entschleunigung

Leben
Elena Muss / 28.03.2020
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Social Distancing vermeintliche Entschleunigung

Es wird dieser Tage oft von „Entschleunigung“ gesprochen. Zuhause sein, sich auf die wichtigen Dinge im Leben konzentrieren, mal nicht von A nach B und wieder zurück huschen zu müssen, einfach mal das Tempo runterfahren. Und das ist toll, ehrlich; ich ziehe meinen Hut vor allen, denen das gerade wirklich gelingt. Die es schaffen, diese „Zwangsentschleunigung“, wenn man so will, als echte Entschleunigung zu nutzen.

Ich kann das leider nicht.

Denn aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass das Leben, während es auf den Straßen, in der Wirtschaft, im Tourismus und im ganzen Alltag langsamer geworden ist, zuhause schneller wurde. Ich fühle mich so gar nicht entschleunigt. Das liegt vielleicht daran, dass mein Handy während dieser ersten paar Sätze in etwa 15 mal gepiept hat. Es liegt vielleicht an dieser Dauerverbundenheit. Denn jetzt wo wir nicht rauskönnen, wo wir niemanden außer unseren Mitbewohner/innen sehen können, herrscht ein Zustand des Dauer-Online-Seins.

Dauer-erreichbar, dauer-verbunden, quasi durchgehend vor Handy oder Laptop, so dass die Augen am Abend vor dem Schlafengehen regelrecht schmerzen. Ich habe das Gefühl, ich bin mehr „verbunden“ als in Nicht-Krisenzeiten. Und obwohl ich das Haus praktisch nicht verlasse, außer um mal frische Luft zu schnappen oder einkaufen zu gehen, habe ich das Gefühl, ich eile von einem Ort zum nächsten: Von der Online-Konferenz zum Skype-Meeting, dann, huch, so viele unbeantwortete Emails, schnell ins Postfach, von hier aus zur ORF-Homepage, dann schnell alle Whatsapp-Gruppennachrichten beantworten, dann ins nächste Skype-Meeting, wieder zurück ins Email-Postfach, und, oh, schnell mal wieder auf die ORF-Homepage, um auf den aktuellen Stand zu kommen, dann in den Moodle-Chatroom und dann, Scheibenkleister, Online-Konferenz um 14 Uhr nicht vergessen. Und das Ganze wiederholt sich jetzt den Tag über in Dauerschleife. Im Minutentakt trudeln Emails und Nachrichten ein; keine will man ignorieren, könnten ja wichtig sein. In Wirklichkeit sind’s dann nur doofe Corona-Memes und Videos von Klopapier-Challenges, Quarantäne-Vlogs und neue Einladungen zu Skype-Konferenzen. Social-Distancing kann man das nicht wirklich nennen, oder?

Bitte nicht falsch verstehen: Das alles ist toll. Ganz großartig. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie einsam wir vor 150 Jahren gewesen wären, wenn wir wirklich alleine gewesen wären. Wo Social Distancing wirklich totale Isolation vom sozialen Umfeld bedeutet hätte, weil sozialer Kontakt ausschließlich durch echten, physischen Kontakt möglich war. Und, okay, Briefe. Das wäre mühsam gewesen (aber auch irgendwie schön, oder?).

Ich bin also echt, echt dankbar, dass wir all diese großartigen, super-einfachen Möglichkeiten haben, trotzdem in Kontakt zu bleiben, das Studium über Fern-Lehre fortsetzen und immer auf dem neuesten Stand sein zu können.

Entschleunigend finde ich es aber trotzdem nicht. Wem es also ähnlich geht wie mir: Findet zumindest ein wenig Zeit am Tag, in der ihr nicht erreichbar seid. In der ihr euch wirklich mal ganz auf euch und eure Familien besinnen könnt. Ihr werdet sehen, wie gut das tut.

Youth Reporter-Artikel zum Thema Coronavirus / COVID-19:

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